Von einem, der auszog, leben zu lernen

ist der Titel eines Essays von Adolf Muschg (geb.1934) über Goethes Reisen in die Schweiz, erschienen in der Bibliothek der Lebenskunst, Suhrkamp- V. 2004. Das Buch, das ich in Vorfreude auf ein Kurs-Wochenende zu „Senter Lektüren: Goethes Schweizer Reisen“ (siehe Blog-Eintrag vom 22.Mai 2025) bestellt habe, erreichte mich heute. Ich habe meine Lektüre von „Sie dreht sich um“ (von Angelika Overath; Luchterhand -V. 2014) noch einmal unterbrochen und gleich in den Neuankömmling geschaut. Den Muschg in seinem Kleinen Vorwort nicht mit Goethe, sondern mit einem bekannten Zitat von Friedrich Schiller aus der in Briefform verfassten Abhandlung „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ beginnt: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“, und  dann taucht auf der ersten Seite des Vorworts auch noch das Wort „unverhofft“ auf (der Adressat des Traktates hat den Dichter unverhofft aus bedrängter Lage gerettet), so dass mir scheint, die Lektüre schafft einen perfekten Anschluss, und während ich vom Freiluftsitzplatz auf windbewegte Wedel der Lagerströmia und aufs Joggeli blicke, begleite ich Muschg und Goethe in die Innerschweiz. 1775 als 26-Jähriger reiste Goethe erstmals in die Schweiz und dabei ergab sich ein „Wallfahrtsziel“, wie Muschg schreibt, zu dem Goethe auch bei den weiteren Schweizer Reisen zurückkehrte: der Gotthard. „Man reiste in die Schweiz, um Bilder zu finden, die der eigenen Seele glichen, aber noch mehr, um Zuflucht zu suchen vor der Hauptfrage, die einen flüchtig gemacht hatte: wer bin ich?“ ist aus Muschgs Essay auf den hinteren Buchdeckel gedruckt. Auch Overaths Protagonistin Anna flieht, spielt („ein kleines Überlebensspiel in Etappen, dessen Regeln sich ihr erst nach und nach erschließen würden“), reist (metaphorisch) zum Himalaya, lebt mit Bildern.

Und 200 Jahre nach Goethes erster Schweizer Reise freut sich in den Osterferien 1975 eine 16-Jährige über die Fahrt mit dem Autozug durch den Gotthard-Tunnel.