Das Wasserblau, das sich wie ein kühler Umschlag um meinen linken Fuß wickelt (ist es überhaupt wasserblau? → noch klären, bevor es gelbgrün wird), lässt es gerade nicht zu, dass ich ihm an seinen angestammten Gestaden begegne. Was also mache ich? Tagsüber lesen, zum Beispiel weiter in Warte im Schnee vor deiner Tür von Friedl Benedikt (Zolnay-V. 1.Aufl.2025) und da heute, am 25.Juli 2025, Elias Canetti 120. Geburtstag hätte (und damit genau den doppelten von Ina Müller, die heute 60 wird; Canetti starb aber am 14.Aug.1994 in Zürich) schaue ich auch in seine Texte über das Leben im englischen Exil. Im Bücherregal habe ich noch seine Geschichte einer Jugend stehen: Die gerettete Zunge (Fischer-TB,30.Aufl.Nov.2000), das will ich mir auch einmal wieder vornehmen, es beginnt so schön (bevor die Bedrohung hinein kommt): „Meine früheste Erinnerung ist in Rot getaucht“. Schließlich ist Erinnerungstauchen eine Sportart, die sich außerhalb wie auch immer gearteter Gewässer gut durchführen lässt, also übe ich mich darin.
„To Fix the Image in Memory I-XI“ ist der Titel eines Objekts von Vija Celmins (geb.1938) in der aktuellen Ausstellung der Fondation Beyeler, ich schaue auf dem Handy meine in der Ausstellung gemachten Fotos an und betrachte noch einmal eingehend das in Saal 3 hängende „Untitled (Big Sea #2)“ von 1969, das auch im Ausstellungsflyer abgedruckt ist. Minutiös hat Celmins hier die Wasseroberfläche mit Bleistift gezeichnet, wenn man vor der Zeichnung steht, wähnt man sich vor einer Fotografie. Eigene Fotografien hat die Künstlerin aber lediglich als Vorlage benutzt, um dann mit nur einer Bleistifthärte und ohne jegliche Korrektur durch einen Radiergummi die Oberflächen zu zeichnen, und zwar nur diese, hier also ausschließlich das leicht bewegte Meereswasser, mittendrin, ohne Anfang, ohne Ende, kein Ufer, kein Horizont, kein Ding, kein Lebewesen. Fünfzehn Jahre lang malte Celmins nicht, sondern konzentrierte sich auf Zeichnungen, in Venice Beach entstanden die ersten dieser von ihr selbst so genannten „impossible images“. (Muss man noch erwähnen, dass Celmins ihrem Arbeitsgerät 1966 auch eine Skulptur gewidmet hat, die ebenfalls im Beyeler zu sehen ist, sonst aber in der National Gallery of Art, Washington, D.C.: ein in Öl auf Leinwand auf Holz mit Grafit ausgeführter Pencil/Bleistift/Crayon?)
Als Wasserspezialist gilt zudem der 1966 geborene Schriftsteller John von Düffel, der von 1996 bis 1998 auch einmal Dramaturg am Theater Basel war und der im Sommer 2025 die Intendanz des Bamberger ETA- Hoffmann- Theaters übernimmt, wie Wikipedia mir verrät. Ich muss gestehen, dass ich noch nie ein Buch von John von Düffel gelesen habe, weder Vom Wasser (ist auch die Geschichte einer Papierfabrikantenfamilie), noch Wasser und andere Welten oder Wassererzählungen, weder Schwimmen oder Goethe ruft an noch Houwelandt, um nur einige zu nennen. Houwelandt liegt aber seit 4.April hier herum und – um nicht nur die Zweige der Lagerströmia zu betrachten oder die Ringeltauben aus der Nachbarschaft heranzuzoomen – entnehme ich ihm zur Abendbeschäftigung gestern endlich die DVD mit dem 2004 von Jörg Adolph gedrehten Film über die Entstehung dieses Romans samt allem, was dazu gehört, bis das Buch endlich in die Buchhandlungen gerät, einschließlich beispielsweise der Umschlaggestaltung. Am liebsten sehe ich die Szenen und Prozesse des Schreibens, auch das geduldige Erneut- oder Umschreiben, Überarbeiten, Korrigieren und doch entfährt mir beim Schauen ein Hilf Himmel!
(John von Düffel: Houwelandt, DuMont Literatur und Kunst Verlag, Köln, 2.Aufl.2004)
(Elias Canetti: Party im Blitz. Die englischen Jahre. Fischer-TB, Juni 2005)
Die Künstlerin Vija Celmins in Basel: Flimmern zwischen Raum und Licht, Ding und Zeichen | taz.de https://share.google/R1Pt6NdVNp1ODP7yJ
