Ils sains dals morts sind die Totenglocken, lerne ich, und wieviele Worte das Romanische kennt für Glocken. Die Worte kümmern sich um den Klang oder folgen der Form.
Ich liebe Glocken und Friedhöfe liebe ich auch. Glocken geben Orientierung, tönen, verstummen wieder, überlassen der Stille den Raum. Die Stille der Friedhöfe ist eine andere, sie birgt all die Namen und Daten, das memento mori, gemeißelt in Stein, gemildert durch Blüten.
Der Friedhof von Sent liegt erhaben, bewacht von den Bergen. Eine Trauerweide schreibt ihren Schatten in den Kies, Gänseblümchen drehen ihr Strahlen zur Sonne. Am steinernen Brunnentrog füllt eine junge Frau die grüne Gießkanne mit Wasser. Ins Weiß der Friedhofsmauer ist eine Apsis eingelassen. Eu sun la via, la vardà e la vita folgen die Buchstaben deren Bogen: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Die beiden Baumstämme zur Rechten und Linken sind wie Totholz – oder kommen doch neue Triebe? Niemand nimmt die blaue Gießkanne vom Brunnenrand, ihre Tülle wendet sich den Traubenhyazinthen zu, die gegenüber ihre vielen Glöckchen läuten.

(Schreibschule Sent, zweiter Tag)