Sunndigsmenü

Die Märzsonne setzt sich durch und ich wähle einen längeren Weg über den Hügel. Aufgebracht schnattern Gänse am Schnäggewegli. Sie beruhigen sich wieder, als ich weiterfahre. Wenige Meter später stelle ich das Rad ab und gehe ein paar Schritte. Ich will schauen, ob die Schnägge-Straussi weiter verlassen steht oder ob mit dem Frühjahr wieder Leben und Gäste einkehren. Blau und bewegt entschuldigt sich ein „Sorry“ auf pastellgelbem Grund und versucht, die hartweißen Großbuchstaben des „Closed“ zu mildern. Auf dem hölzernen Türbalken aber lächelt mich eine geschnitzte Schnecke dermaßen freundlich an, dass ich das warnende Rot des Abstandsgebots, das die pandemischen Zeiten überdauert hat, nicht ernstnehmen kann. Ich nähere mich der gläsernen Türfüllung, umfasse den Schneckengriff und will eintreten, da weist mich die Weinlaube aber doch unmissverständlich mit den trockenen Blättern einer alten Rebe ab. Auf den Tischen verrutschen Plastikplanen, die wenigen Stühle sind obenauf getürmt oder stehen verwaist in Ecken, weder kann ich Dunnschdigs mich an Cordon bleu erfreuen noch am Friddig Leberli mit Röschti genießen und auch die Sunndigsmenüs bleiben mir verwehrt.

Ich tröste mich mit einem Blick Richtung Schwarzwald, auf den höchsten Gipfeln leuchtet Schnee, dann umrunde ich das Gebäude. Auf dem Hofpflaster schwimmt eine schwarze Ente auf die zerborstene Lichtquelle zu, auf der Häkelgardine räkeln sich Blüten zwischen dem Schneckenmuster und darunter sonnt sich ein ungleiches hölzernes Schneckenpaar.

Dann sehe ich am Torpfosten ein frisch wirkendes Schild, das mir mit kräftigem Blau „Herzlich Willkommen“ zuruft, landwirtschaftliche Kleingeräte aus vergangenen Zeiten darf ich besichtigen, über die aus groben Kieseln gepflasterte Schnecke betrete ich erwartungsfroh einen zweiten Hof. Die Geräte sind da, auch Schilder, die sie zu Ackerbau, Weinbau und Schnapsbrennerei sortieren, aber außer mir bewegt sich hier niemand, die Geräte dämmern vor sich hin, Efeu und Dornen umranken Schallkanonen zur Vogelabwehr, der laminierte Zettel mit Hinweis auf den Selbsthalterpflug aus den 50er Jahren liegt am Boden, eine dicke Fliege spaziert gerade darüber und im Geäst eines wild wuchernden Busches baumelt nur noch an einer Schraube ein Schild, das in alten Druckbuchstaben fleht: „Die Traube ist der Winzer Lohn/ so war´s zu Römerzeiten schon/ wir haben keine große Not/ lass dem Winzer sein verdientes Brot.“  Das stimmt mich nachdenklich und leider kann mir auch die Trauben-Korbtrotte zur Weinbereitung keine Auskunft geben, was mit dem „Haus der prämierten Destillate“ und den „Baden Best Spirits“ geschehen ist. Dann entdecke ich die Schmetterlinge, die unverzagt ihre metallenen Flügel der Märzsonne entgegen recken, ich kehre zu meinem Rad zurück und setze den Weg am Hügel Richtung Südwesten fort, rechts und links flankiert von den Reihen der Weinreben, an denen bald die Traubengescheine knospen werden.