St.Ottilien – Spaziergang 2

Im Ottilienkirchlein ist eine Krippe aufgebaut, das Stallgebäude hat einen hölzernen Dachstuhl, dort sitzt mit baumelnden Beinen eine geschnitzte Putte und hält mit beiden Händen ein langes Windeltuch, wohl dem Jesuskind zugedacht, das nackt und bloß, aber mit segnend gebreiteten Ärmchen auf seinem Krippenbett im Freien vor der Stallmauer liegt. Der heilige Josef steht mit einigem Abstand, aber dem Kind zugeneigt, die Hände wie zum Gebet gefaltet, auch Maria gegenüber ist nicht nahbei, sondern kniet etwas entfernt, unter ihrem Schleier in den Anblick des Kindleins versunken. Der Esel steht ihr mit langen, aufmerksamen Ohren zur Seite, am nächsten ist dem Kindlein die gehörnte Kuh, sie ruht hinter dem Krippenbett und vier ihrer Rippen zeichnen sich deutlich unter der Rückenkuppe ab. Die Krippe steht in einer Nische unter der runden, wie frei schwebenden Kanzel, drei gefleckte Grautöne lassen aber deren Machart aus schwerem Stein erkennen, nur sind die hinaufführenden Stufen hinter einer Wand verborgen. Das Kirchlein duftet weihnachtlich, ein großer, fein geschmückter Tannenbaum nimmt den Platz vor dem Taufbecken ein und steht aufrecht links vor dem Rundbogen, der den Altarraum abgrenzt. Durch das Flachglas der beiden schmalen hohen Kirchenfenster rechts fällt das Mittagslicht und ich sehe, dass sich in einer Facette des blaugrundigen, mit Pflanzenornamenten gestalteten Fensters ein kleines Kirchengebäude findet, darunter die Jahreszahl 1975. Im zweiten, rotgrundigen Fenster wachsen gelbe Ähren in die Höhe, unter den Ähren links prangen in dem ihnen eigenen Blau drei Kornblumenblüten, und wenn man den Blick nach unten gleiten lässt, entdeckt man ein vierblättriges Kleeblatt in hellgrün , darunter so etwas wie seinen Schatten. Jetzt öffnet sich die Holztür zum Kirchlein und herein kommt ein junges Paar, es steigt die Treppe zur kleinen Empore hinauf und sitzt dort eine Weile ruhig in seiner dunklen Kleidung. Ich bleibe noch ein wenig, nachdem das Paar das Kirchlein verlassen hat, dann nehme auch ich die gusseiserne Klinke in die Hand und trete auf den Vorplatz, der sich 405 Meter über Normalnull auf dem südlichen Grat des Tüllinger Hügels ausbreitet und nach Süden und Westen die Rundsicht öffnet auf das nahe Basel und das gesamte Dreiländereck. „Ja, s’goht steil ufe“ hat mich ein älterer Herr beim Aufstieg entgegenkommend entschuldigt, als ich kurz pausieren musste. Ich habe gelesen, dass das Ottilienkirchlein im Jahr 1113 zum ersten Mal urkundlich Erwähnung fand, zusammen mit der Siedlung „Tülliken“. Daran denke ich, als ich schwach im Mittagsdunst hinter den Juraausläufern ein paar Alpengipfel erahne. Ich umrunde das Kirchlein, auf dessen Außenwänden sich die kahlen Bäume des Vorplatzes mit langgestreckten Schatten einschreiben, hinter dem Kirchlein öffnet sich noch der Blick hinunter nach Lörrach und hinüber zu den Schwarzwaldhöhen, dann geht es ein paar flache Stufen hinauf und an der Nordwand sehe ich ein Schild, das davon kündet, das dies einer der mythischen Orte am Oberrhein ist.