die kennt man von der am 22.März 1929 in Matsumoto, Japan geborenen Yayoi Kusama, der die Fondation Beyeler eine umfassende Retrospektive auf über 70 Jahre künstlerisches Arbeiten widmet – und in Form von 1200 glänzenden, gleichförmigen Edelstahlkugeln empfangen sie mich am sturmgebeutelten Tag bereits vor Betreten des Museums. In einvernehmlicher Nachbarschaft mit den gefallenen Herbstblättern ziehen sie ihre Bahnen oder sich in eine Teichecke zurück, Narcissus Garden ist der Titel der Installation, die die nicht geladene Künstlerin erstmals dennoch 1966 auf der Biennale in Venedig präsentierte.

Spiegelungen, nicht nur die der Eitelkeit, sondern auch jene der Selbstreflexion, sind ein vielfach und überwältigend variiertes Thema von Kusama, die nach Lebensjahren in New York in ihre Heimat Japan zurückkehrte, sich dort 1977 selbst in eine psychiatrische Klinik einlieferte, in der sie seither lebt und arbeitet. Im September 2017 eröffnete sie in Tokyo ihr eigenes Museum. Halluzinationen von Punkten und Netzmustern begleiten Kusama seit ihrer Kindheit, in einer Bleistiftzeichnung der 10-Jährigen in Raum 1 überziehen die Punkte bereits das in sich gekehrte Gesicht einer jungen Frau und breiten sich in die Umgebung aus.
Ich nehme auch einen Bleistift, einen der kleinen, gut gespitzten, die neben den in Deutsch, Englisch und Französisch ausliegenden Mitmachheften für Kinder bereitliegen, dann kann ich vielleicht im Saalbooklet ein paar Anmerkungen notieren. Tatsächlich sind an diesem Donnerstagmorgen viele Kinder in der Ausstellung, eine ganze Gruppe im Kindergartenalter, munter trappeln sie durch die Räume, keine Ahnung, ob die Erzieherinnen die Kleinen von den freizügigen Performance-Videos in Raum 6 fernhalten, ich verliere die Gruppe aus den Augen und das Mitmachheft sagt dazu nichts. Eine Züricher Stiftung ermöglicht Kindern und jungen Menschen bis 25 Jahre ein Kunstvermittlungsprogramm und freien Eintritt in die Fondation.
Detailgenaue Bleistiftzeichnungen von Blättern und zarte Pastellgemälde geben in den ersten Räumen Zeugnis von Kusamas Ausbildung in traditioneller Malerei in Kyoto, bevor dann die ersten riesigen Ölgemälde der Infinity Net Paintings mit sich wie endlos dehnenden Netzmustern den ganz eigenen Weg der Künstlerin signalisieren. Ich setze mich auf eine der wenigen breiten Holzbänke, um eine Weile die weißgrauen Waben von The Pacific Ocean (1958) zu betrachten, neben mir ein noch sommerbraunes Paar, leise liest in beiger Hose und blauem Sweatpulli der junge Mann seiner Begleiterin die Saaltexte vor, auf Französisch, sie lauscht und schaut, wendet ihm ihr Gesicht zu mit der cognacfarbenen Brille, die einen der changierenden Farbtöne ihres langwelligen Haares aufnimmt, und antwortet sotto voce auf Französisch, bevor sich die Zwei erheben und weitergehen. Auch diese Beiden verliere ich aus den Augen in der zunehmenden Menge der Besucher, treffe aber in einem anderen Raum auf ein Paar aus meinem Chor.
Aus den Jahren 2021 bis 2023 stammen buntgemusterte und beschriebene Acrylgemälde mit Titeln wie The Net of Love I Aspired to in My Youth, My Wish is To Offer up This Splendor to Humankind und Every Day I Pray for Love. Extra für die Ausstellung aktuell geschaffen hat die 96-jährige Künstlerin den Infinity Mirrored Room – The Hope of the Polka Dots…(Titel noch länger), schon beim Hinabgehen in den Saal 9 winden sich die gelbschwarzen Tentakel vom jetzt gleichgemusterten Boden des doppelgeschossigen Ganges in die Höhe, bevor man im Saal von allen Seiten von ihnen umschlungen und schließlich für kurze Zeit eingeschleust wird in den eigentlichen Infinity Mirrored Room, in dem dunkle Spiegel oben, unten und von allen Seiten die leuchtende Bewegung der aufgeblasenen Tentakel ins Unendliche vervielfältigen, so dass man die Bodenhaftung verliert und in diesem Universum schwebt. Tatsächlich muss ich beim Hinausgehen erst wieder Trittsicherheit gewinnen.
Die Ausstellung ist in jeder Hinsicht überwältigend und es ist ein Glück, dass der Museums- Pass- Musées und die Nähe zur Fondation Beyeler es mir ermöglichen, noch des Öfteren in die Welt der Yayoi Kusama einzutauchen und punktgenau Einzelheiten zu studieren (zum Beispiel die eigenwilligen Selbstportraits).
(Seit dem 12.Oktober 2025 und noch bis 25.Januar 2026 in der Fondation Beyeler, CH-Riehen; danach vom 14.März bis 2.August 2026 im Museum Ludwig, Köln und vom 11.September 2026 bis 17.Januar 2027 im Stedelijk Museum, Amsterdam)

