Als Eisenbahnerort wird der ehemalige Fischerort Portbou in der Comarca Alt Empordà bezeichnet. Kaum Platz ist zwischen den zerklüfteten Ausläufern der Pyrenäen und der vorhandene ist okkupiert von heute völlig überdimensionierten Gleisanlagen und Bahnhofsgebäuden. Ursprünglich war die 1872 eingeweihte und 1929 noch erweiterte Anlage für den internationalen Reiseverkehr konzipiert, jetzt verkehren hier nur noch Nahverkehrszüge. Die zwischen Cerbère und Portbou auf einem Pass verlaufende Grenze zwischen Frankreich und Spanien spielt heute kaum eine Rolle, in den 1930er/1940er Jahren war sie jedoch die kaum zu überwindende Barriere für Menschen, die aus dem nationalsozialistischen Deutschland und dem besetzten Frankreich über Spanien weiter flüchten wollten. Portbou wurde 1933 bis 1945 zum Sammelort deutscher und französischer Emigranten, die von FluchthelferInnen über die Grenze gebracht wurden. Eine solche Fluchthelferin war Lisa Fittko (1909-2005), sie geleitete am 24.September 1940 Walter Benjamin, den sie aus Pariser Jahren kannte (das Ehepaar Fittko hatte im selben Haus wie Benjamin gewohnt), und zwei andere Flüchtlinge über die Grenze nach Portbou. Die beiden anderen Flüchtlinge (eine aus Aachen stammende Fotografin und ihr 18jähriger Sohn) konnten sich von dort aus nach Lissabon durchschlagen und weiter nach Amerika reisen. Walter Benjamin (geb.15.Juli 1892 in Berlin) jedoch, der wegen einer Herzkrankheit den Fluchtweg nur sehr langsam hatte zurücklegen können, nahm sich in der Nacht vom 25. auf den 26.September 1940 im Hotel de Francia in Portbou das Leben, da er wegen einer neuen Verordnung der spanischen Regierung dennoch eine Auslieferung an die Deutschen befürchtete. Als wichtigste Quelle für seinen Suizid gilt ein Abschiedsbrief an Theodor W. Adorno, den er seiner Mitflüchtenden Henny Gurland (der Aachener Fotografin) ausgehändigt hatte. Gurland hatte diesen Brief nach der Lektüre vernichtet und erst später aus dem Gedächtnis aufgeschrieben. Seit 1979 erinnert eine Gedenktafel auf dem Friedhof von Portbou an Walter Benjamin, der Weg zur Realisierung des auf Anregung des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker ab 1989 geplanten Gedenkortes war jedoch mindestens ebenso steinig wie die kleinen Strände von Portbou, so dass dieser erst am 15.Mai 1994 und nicht wie ursprünglich vorgesehen zum 100. Geburtstag Benjamins 1992 eröffnet werden konnte. Lisa Fittko, die Fluchthelferin, war bei der Eröffnung anwesend. „Passagen – Gedenkort für Walter Benjamin und die Exilierten der Jahre 1933-1945“ lautet die offizielle Bezeichnung des vom israelischen Bildhauer Dani Karavan (1930-2021) entworfenen begehbaren Denkmals beim Friedhof von Portbou, etwa 20 Meter über dem Meeresspiegel. Bei der Feier zum 20jährigen Bestehen der Gedenkstätte war außer Karavan auch Wim Wenders anwesend.
Der 20.Juli 2021 ist ein Sommertag, auf dem Türkisblau des Meeres in der schmalen Bucht nur wenige Boote, zwischen den weißen Mauern des Friedhofs kaum Lebende. Eine durchsichtige Glasplatte stoppt den Gang hinunter auf den Treppenstufen des engen Korridors und vor dem Hintergrund der schroff ins Meer fallenden Pyrenäenausläufer lese ich dort auf Deutsch das Zitat „Schwerer ist es, das Gedächtnis der Namenlosen zu ehren als das der Berühmten. Dem Gedächtnis der Namenlosen ist die historische Konstruktion geweiht. Walter Benjamin, G.S. I, 1241“. Es stammt aus Benjamins Notizen zu seinen letzten, in den Wintermonaten 1939/40 entstandenen Thesen Über den Begriff der Geschichte.
„Ohne Worte“ habe ich zu den Fotos im Juli 2021 auf Facebook geschrieben.

