Psalm 21 ist der im Herrnhuter Losungsbüchlein angegebene Sonntagspsalm und ich zitiere die Verse 2,3 und 14:
HERR, über deine Kraft freut sich der König, und wie sehr jauchzt er über deine Hilfe! Den Wunsch seines Herzens hast du ihm gewährt, und das Verlangen seiner Lippen nicht verweigert.
Erhebe dich, HERR, in deiner Kraft! Wir wollen singen und spielen deiner Macht.
Auch der für heute geloste Tagesvers beinhaltet die Kraft. In Psalm 29 Vers 11 heißt es :
Der HERR möge Kraft geben seinem Volk, der HERR möge sein Volk segnen mit Frieden.
Und der zum Tagesvers herausgesuchte heutige „Lehrtext“ gehört zu meinen Lieblingsstellen, der Vers 7 im ersten Kapitel des zweiten Timotheusbriefes:
Denn Gott hat uns nicht gegeben einen Geist der Verzagtheit, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
(Die Psalmverse habe ich zitiert nach der Elberfelder Bibel 2006, in deren Vorwort die beiden Verlage – R.Brockhaus-V.Wuppertal und Christliche Verlagsgesellschaft Dillenburg – auf die zugrundeliegenden Neubearbeitungskriterien eingehen, von Sprachentwicklung und Rechtschreibregelung über geistlich-theologische Reflexion bis hin zu Lesefreundlichkeit und Typographie. Für den neutestamentlichen Vers habe ich auf die Interlinearübersetzung Griechisch-Deutsch zurückgegriffen, 9.Aufl.2012 SCM R.Brockhaus im SCM-V. Witten, der griechische Text fußt auf der Nestle-Aland-Ausgabe)
Der Gottesacker, der die evangelische Kirche St.Georg umgibt, ist wahrlich ein Hof des Friedens. In die Reben des Tüllinger Hügels gebettet, gibt er den Blick frei hinunter in die Rheinebene und hinüber zu den Vogesengipfeln. Hält man sich an einem Sommertag auf ihm auf, behütet einen der Schatten alter Bäume, deren Blätter im leichten Wind nur leise flüstern. Gießkannen, die bei steinernen Brunnentrögen auf ihre Bestimmung warten, leisten stille Gesellschaft. Zweige eines Lebensbaumes sind gebrochen und suchen Berührung mit bewegten Zeilen, die das Sonnenlicht ins Brunnenwasser schreibt. Nicht nur die Thuja schmiegt sich ins Nass, auch Moos probiert, ob es sich dem Fließen anlehnen und in Kreisen ausdehnen kann. Üppiges Sommerblühen mildert Endgültigkeit, und es ist, als würden all die Namen und Daten mit dem Sommerwind übers dichte Grün der Rebreihen hinaufwehen zum verheißenen Ort, an dem jede Träne abgewischt ist.
Das Wasserblau, das sich wie ein kühler Umschlag um meinen linken Fuß wickelt (ist es überhaupt wasserblau? → noch klären, bevor es gelbgrün wird), lässt es gerade nicht zu, dass ich ihm an seinen angestammten Gestaden begegne. Was also mache ich? Tagsüber lesen, zum Beispiel weiter in Warte im Schnee vor deiner Tür von Friedl Benedikt (Zolnay-V. 1.Aufl.2025) und da heute, am 25.Juli 2025, Elias Canetti 120. Geburtstag hätte (und damit genau den doppelten von Ina Müller, die heute 60 wird; Canetti starb aber am 14.Aug.1994 in Zürich) schaue ich auch in seine Texte über das Leben im englischen Exil. Im Bücherregal habe ich noch seine Geschichte einer Jugend stehen: Die gerettete Zunge (Fischer-TB,30.Aufl.Nov.2000), das will ich mir auch einmal wieder vornehmen, es beginnt so schön (bevor die Bedrohung hinein kommt): „Meine früheste Erinnerung ist in Rot getaucht“. Schließlich ist Erinnerungstauchen eine Sportart, die sich außerhalb wie auch immer gearteter Gewässer gut durchführen lässt, also übe ich mich darin.
„To Fix the Image in Memory I-XI“ ist der Titel eines Objekts von Vija Celmins (geb.1938) in der aktuellen Ausstellung der Fondation Beyeler, ich schaue auf dem Handy meine in der Ausstellung gemachten Fotos an und betrachte noch einmal eingehend das in Saal 3 hängende „Untitled (Big Sea #2)“ von 1969, das auch im Ausstellungsflyer abgedruckt ist. Minutiös hat Celmins hier die Wasseroberfläche mit Bleistift gezeichnet, wenn man vor der Zeichnung steht, wähnt man sich vor einer Fotografie. Eigene Fotografien hat die Künstlerin aber lediglich als Vorlage benutzt, um dann mit nur einer Bleistifthärte und ohne jegliche Korrektur durch einen Radiergummi die Oberflächen zu zeichnen, und zwar nur diese, hier also ausschließlich das leicht bewegte Meereswasser, mittendrin, ohne Anfang, ohne Ende, kein Ufer, kein Horizont, kein Ding, kein Lebewesen. Fünfzehn Jahre lang malte Celmins nicht, sondern konzentrierte sich auf Zeichnungen, in Venice Beach entstanden die ersten dieser von ihr selbst so genannten „impossible images“. (Muss man noch erwähnen, dass Celmins ihrem Arbeitsgerät 1966 auch eine Skulptur gewidmet hat, die ebenfalls im Beyeler zu sehen ist, sonst aber in der National Gallery of Art, Washington, D.C.: ein in Öl auf Leinwand auf Holz mit Grafit ausgeführter Pencil/Bleistift/Crayon?)
Als Wasserspezialist gilt zudem der 1966 geborene Schriftsteller John von Düffel, der von 1996 bis 1998 auch einmal Dramaturg am Theater Basel war und der im Sommer 2025 die Intendanz des Bamberger ETA- Hoffmann- Theaters übernimmt, wie Wikipedia mir verrät. Ich muss gestehen, dass ich noch nie ein Buch von John von Düffel gelesen habe, weder Vom Wasser (ist auch die Geschichte einer Papierfabrikantenfamilie), noch Wasser und andere Welten oder Wassererzählungen, weder Schwimmen oder Goethe ruft an noch Houwelandt, um nur einige zu nennen. Houwelandt liegt aber seit 4.April hier herum und – um nicht nur die Zweige der Lagerströmia zu betrachten oder die Ringeltauben aus der Nachbarschaft heranzuzoomen – entnehme ich ihm zur Abendbeschäftigung gestern endlich die DVD mit dem 2004 von Jörg Adolph gedrehten Film über die Entstehung dieses Romans samt allem, was dazu gehört, bis das Buch endlich in die Buchhandlungen gerät, einschließlich beispielsweise der Umschlaggestaltung. Am liebsten sehe ich die Szenen und Prozesse des Schreibens, auch das geduldige Erneut- oder Umschreiben, Überarbeiten, Korrigieren und doch entfährt mir beim Schauen ein Hilf Himmel!
(John von Düffel: Houwelandt, DuMont Literatur und Kunst Verlag, Köln, 2.Aufl.2004)
(Elias Canetti: Party im Blitz. Die englischen Jahre. Fischer-TB, Juni 2005)
betitelt Martin Kluge, der Leiter Vermittlung und Wissenschaft der Papiermühle Basel in deren Journal N°25 Sommer 2025 seinen Artikel zur Bedeutung der Handelsbeziehungen zwischen Basel und den Niederlanden, speziell natürlich den Papierhandel betreffend. In der ersten Hälfte des 17.Jahrhunderts habe mehr als die Hälfte des in Holland verwendeten Papiers aus Basler Papiermühlen gestammt, auch Rembrandt habe für seine Zeichnungen und Radierungen solche Basler Papiere genutzt. Für den regen Handel (befördert durch den holländischen Großhändler Cornelis van Lockhorst und seine 1595 gegründete Compagnie der Duytse papieren) diente der mit Basel untrennbar verbundene Rhein als Transportweg, die in Basel hergestellten Papiere mit ihren überaus bekannten Wasserzeichen und die in Basel gedruckten Bücher wurden vor allem entlang von Rhein und Main nicht nur verschifft, sondern auch verkauft.
Wie die Wasserzeichen ins Papier kommen, woraus überhaupt das Papier besteht, wie man es schöpft, mit Federkielen und Tinte beschreibt oder in verschiedenen Verfahren bedruckt, das und noch viel mehr können ein groß gewordener Jemand und seine nonna in den drei Stockwerken des schönen alten Gebäudes der Basler Papiermühle mit Ausblicken auf den Rhein nicht nur anschauen, sondern auch ausprobieren und mit einem reich gefüllten Umschlag die Entdeckungsreise für diesmal beenden, wobei sie nicht vergessen, dem bemoosten und sich unermüdlich drehenden Mühlrad ein Uf Wiederluege zu winken. Denn zu einem raschen Wiedersehen lockt das Veranstaltungsprogramm, dass unter anderem in den Basler Sommerferien einen offene „Wort-Werkstatt“ anbietet für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die verspricht, Buchstaben zum Tanzen zu bringen: „Während der Basler Sommerferien widmen wir uns ganz dem Schreiben. Wir reimen, dichten, schmieden Verse, verfassen Briefe und lassen Endlos-Texte wachsen. Mit Stempeln, Tusche, Pinsel, Feder und Papier bringen wir Buchstaben zum Tanzen! Komm vorbei und teile deine Worte, Gedanken und Ideen.“
Da zeichnen sich ja weitere Sommerfreuden ab, also: Nichts wie hin!
hatten sich die Eltern wohl gedacht, als sie für die Sommerferien 1976 ein Ferienhaus in der Provinz Savona mieteten, in und mit dem wir dann so viel erlebten, dass wir nach ein paar Tagen beinahe doch wieder beim italienischen Hoteliersfreund an der Adria Zuflucht gesucht hätten.
Los geht es um punkt sieben Uhr am 23.Juli 1976, zunächst zum Genfer See. Lord Byron besichtigte die Wasserburg Château de Chillon im Jahr 1816 und machte sie mit seinem Gedicht Der Gefangene von Chillon bekannt. Wir tun es ihm nach und betreten den Chillon-Felsen „über eine Holzbrücke, den gepflasterten Weg, nochmals eine Brücke in das alte Gemäuer, ins Gefängnis, die schönen Höfe und vielen kleinen Zimmer“, wie wir am Abend aufschreiben und dazu die Schlossbeschreibung kleben, den Grundrissplan und eine Postkarte, die wir auseinandergeschnitten haben, denn wir beschließen den Abend in einem Motel mit Schreiben und Lesen, wie wir notieren. Zuvor aber haben wir in einem kleinen Garten etwas getrunken („Menschen anschauen macht mir an solchen Sehenswürdigkeiten mindestens genauso viel Freude wie die Sehenswürdigkeiten selbst anschauen“) und in Villeneuve im Telefonbuch nach der Adresse von Oskar Kokoschka geschaut und sie auch gefunden: Avenue des Châtaigniers 1, und wir sind etwas den Berg hinauf gefahren und haben das Haus auch beinahe sofort gefunden, „eine schöne, bescheidene, alte, kleine Villa, die wir durch Gartentor- und -hecke sehen“ und wir notieren, wie es uns freut, „die Wohn- und Arbeitsstätte dieses bedeutenden Malers und Menschen zu sehen!“ Wir übernachten in Martigny und machen noch einen Abendspaziergang, vorbei an der evangelischen Kirche und an Ausgrabungen aus römischer Zeit.
(Lord Byron,1788-1824, besuchte Schloss Chillon am 22.Juni 1816 zusammen mit Percy B. Shelley,1792-1822, und vollendete das 392 Zeilen lange dramatische Gedicht The Prisoner of Chillon wohl Anfang Juli 1816)
ist der Titel eines Essays von Adolf Muschg (geb.1934) über Goethes Reisen in die Schweiz, erschienen in der Bibliothek der Lebenskunst, Suhrkamp- V. 2004. Das Buch, das ich in Vorfreude auf ein Kurs-Wochenende zu „Senter Lektüren: Goethes Schweizer Reisen“ (siehe Blog-Eintrag vom 22.Mai 2025) bestellt habe, erreichte mich heute. Ich habe meine Lektüre von „Sie dreht sich um“ (von Angelika Overath; Luchterhand -V. 2014) noch einmal unterbrochen und gleich in den Neuankömmling geschaut. Den Muschg in seinem Kleinen Vorwort nicht mit Goethe, sondern mit einem bekannten Zitat von Friedrich Schiller aus der in Briefform verfassten Abhandlung „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ beginnt: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“, und dann taucht auf der ersten Seite des Vorworts auch noch das Wort „unverhofft“ auf (der Adressat des Traktates hat den Dichter unverhofft aus bedrängter Lage gerettet), so dass mir scheint, die Lektüre schafft einen perfekten Anschluss, und während ich vom Freiluftsitzplatz auf windbewegte Wedel der Lagerströmia und aufs Joggeli blicke, begleite ich Muschg und Goethe in die Innerschweiz. 1775 als 26-Jähriger reiste Goethe erstmals in die Schweiz und dabei ergab sich ein „Wallfahrtsziel“, wie Muschg schreibt, zu dem Goethe auch bei den weiteren Schweizer Reisen zurückkehrte: der Gotthard. „Man reiste in die Schweiz, um Bilder zu finden, die der eigenen Seele glichen, aber noch mehr, um Zuflucht zu suchen vor der Hauptfrage, die einen flüchtig gemacht hatte: wer bin ich?“ ist aus Muschgs Essay auf den hinteren Buchdeckel gedruckt. Auch Overaths Protagonistin Anna flieht, spielt („ein kleines Überlebensspiel in Etappen, dessen Regeln sich ihr erst nach und nach erschließen würden“), reist (metaphorisch) zum Himalaya, lebt mit Bildern.
Und 200 Jahre nach Goethes erster Schweizer Reise freut sich in den Osterferien 1975 eine 16-Jährige über die Fahrt mit dem Autozug durch den Gotthard-Tunnel.
Heute betrachte ich eine Wandinstallation, die mich stark an etwas erinnert. Kann ich mich erinnern, an was sie mich erinnert? Nee, nee, nicht nur an den Buchstaben-Dreierpack BAP (obwohl ein Marktstand sich so hübsch bekannte: BAP-tized). War da nicht was mit Schürze? Weiß? Schürze weiß. Das hatte ich doch mal in meiner Bibliographie, äh Biographie. Und dieses Hebelgerät, zu was war das nochmal gut? Dr.Schuhmacher, Schuh-Macher gab’s bei den Vorfahren, aber das ist nicht, was ich meine, Schumann vielleicht, machte der nicht so eine Erinnerungsmusik? Ach, Entschuldigung, bin etwas durcheinander, da steht ja Dr.Schumacher. So hieß ich aber nicht, das weiß ich genau. Dr. aber schon, das lese ich auch auf dem Bändchen, das man mir ums Handgelenk geschlungen hat. Wie den neugeborenen Kindlein. Ist ein Jungbrunnen, das hat Wolfgang Niedecken gesagt, nachdem er dreieinhalb Stunden Konzert hingelegt hat bei Jahrgang 1951. Vom Jungbrunnen bin ich aber gerade etwas entfernt, so im Rollstuhl sitzend, weil es nicht gelingt, das linke Bein als Standbein zu benutzen. Anatomische Studien, ich erinnere mich, und mit nicht benutzbaren Füßen war doch auch mal was, oder? Rechts, das war rechts. Das Blaue sieht kräftig aus, was da herunterhängt, gefällt mir, leuchtet lichtorgelmäßig. Obwohl blau ja nicht meine Lieblingsfarbe ist, dabei liebe ich doch das Himmelsblau und das Meeresblau. Welche ist überhaupt meine Lieblingsfarbe? Grün vielleicht? Die Erdfarben mag ich sehr und Sandtöne, stimmt, also die Wandfarbe fügt sich da ein. Jetzt aber zu den drei Buchstaben, was hat es mit denen auf sich? LMS. Learning-Management-System, eine Software zum Erstellen von Lerninhalten, 1.Zielsetzung, 2.Anforderungsanalyse, 3.Pilotphase usw. ?? Kann nicht sein. Landesverband für Markthandel und Schausteller, Hessen e.V.?? Eher nicht. Located Message Service, ein Telekommunikationsdienst für verortete Nachrichten?? Keine Ahnung. Landesmedienanstalt Saarland?? Passt schon eher, das Ende, meine ich, biographisch, also wenn man es an den Anfang stellt. Und warum nur hat das XL keinen Platz? Wahrscheinlich weil es so groß und dick ist. Ach so, jetzt hab ich’s, Large, Medium, Small, Schuhe für die Hand, und ich musste immer Small nehmen, das ist für manches gut, aber nicht fürs Piano. Steht die Packung deswegen verkehrt herum? Fragen über Fragen. Und damit beende ich die Betrachtung der Wandinstallation, man hat einen Salbenverband um das Standbein gewickelt, das aber immer noch nicht stehen kann. Muss es eben spielen. Oder lesen, auf dem Sofa (komisches Wort). Do re mi FA SO la ti do oder la ti do re mi FA SO la , die Solmisationssilbenfolge, wie ich vor Kurzem gelernt habe, mit Handzeichen, versteht sich. Also Lesen, zum Beispiel „Wie die Welt weiterging. Geschichten für jeden Tag“ oder doch lieber „Grammatik der Phantasie. Die Kunst, Geschichten zu erfinden.“
Und die Moral von der Geschicht? Radle du zur Arbeit nicht! (Da gab’s doch auch mal was mit einem Wort, das man drehen kann und einer weiblichen Form, wo beim Drehen was Merkwürdiges rauskommt und damit meine ich jetzt nicht die Birnenform). (Und nein, noch habe ich keine Antischmerzdroge genommen und noch habe ich kein Glas Wein getrunken.)
(Monika Helfer: Wie die Welt weiterging. Geschichten für jeden Tag. Hanser-V. München 3.Aufl.2024)
(Gianni Rodari: Grammatik der Phantasie. Die Kunst, Geschichten zu erfinden. Reclam-TB Nr.20360)
Auch der im Herrnhuter Losungsbüchlein für den heutigen Sonntag vorgeschlagene Psalm 26 ist ein von David verfasster Psalm und ich zitiere daraus nach der Elberfelder Übersetzung die Verse 1 und 8:
Hilf mir zum Recht, HERR! Denn in meiner Lauterkeit bin ich gewandelt; und auf den HERRN habe ich vertraut, ich werde nicht wanken.
HERR, ich liebe die Wohnung deines Hauses und den Wohnort deiner Herrlichkeit.
Und: der Sommerfreuden ist kein Ende, denn außer Wuppertaler Studienbibeln erhalte ich auch unverhoffte andere Geschenke und werde vom Zaungast zum Stehplatz- Gast: jemand, der das Konzert vorzeitig verlassen muss, überreicht mir am Zaun seine zweite, nicht genutzte Karte und meine Tasche passt zum guten Glück ins vorgeschriebene Format kleinergleich DIN A4 und da Wolfgang Niedecken es bei uns wunderschön findet, wie er ins Mikrofon ruft, und weil er Anekdötchen erzählt über die Band und an das ultimativ letzte Abschiedslied noch das ultimativste dranhängt, und weil er sich damit zu sage und schreibe sechs Zugaben hat bewegen lassen, bin ich eineinhalb Stunden lang mitten drin im Geschehen und erlebe, wie ganz Lörrach (naja, zumindest fast) einstimmt in die Zeitreise und lauthals Kölsch singt „Verdammp lang her, verdammp lang her…“ Und ich vermute, dass die große Begeisterung und der nicht enden wollende Beifall auch dem gilt, was ich Beständigkeit nenne.
In unserer Regio Trirhena reichen sich die Großereignisse die Hand. Nicht nur werden Frankreichs und Deutschlands Fußballerinnen heute im Joggeli (St.Jakob-Park Basel) das Viertelfinalspiel der Women’s Euro 2025 austragen, auch das Lörracher Stimmenfestival gipfelt in den Marktplatzkonzerten, wo auf hoher Bühne unter freiem Himmel Weltgrößen zu Gast sind. Den Auftritt der rauchigen Stimme von ZAZ habe ich leider verpasst, aber bei den legendären Beach Boys will ich doch auch Gast sein, ein Zaungast nämlich. Zaungast zu sein ist deshalb besonders schön, weil die Sounds herüberwehen und die Lichtorgel auch die Umgebung illuminiert, man sich aber nicht dem Platzreglement fügen muss, sondern mit den vielen Passanten, die gekommen sind, stehen, grooven, flanieren kann. Der Platz hinter dem Zaun füllt sich mit allen Lebensaltern, nicht nur Kinder tanzen, ältere Paare erinnern sich ihrer Jugendjahre, eine Langgezopfte in den Fünfzigern ist nicht nur melodie-, sondern auch textsicher genau wie drei begeisterte Teenagerinnen. In den umliegenden Lokalen sind sämtliche Sitzgelegenheiten belegt, man trinkt, isst, spricht, lässt den Himmel über sich dunkler werden und die Luft um sich kühler und bleibt – auch nachdem der letzte Ton der Good Vibrations und der alten Mythen vom endlosen Sommer, von Summer Days and Summer Nights verklungen ist.
Michelangelo an der Ecke hat genügend in der Theke für diese Sommernacht, Eisgenuss begleitet den Gang zur nun von Absperrungen befreiten Bühne, auf der gerade die Kübelpalmen abtreten, und ich sehe, dass der nächste Abend kölsch wird, man hat den 74-jährigen Wolfgang Niedecken geladen.
Und der Lörracher Motettenchor tritt mit dem asambura Ensemble endlich auch auf großer Freilichtbühne auf (zumindest in Schriftform) !