Der runde Geselle

Warum der runde Geselle versucht hat, sich selbstständig zu machen, weiß ich nicht. Es ging ihm doch gut und er hatte erst vor kurzem ein neues Zuhause gefunden. Als Beigabe zu einem schwarzen Netz mit Rahmen war er ins neue Heim eingezogen und sein neuer Besitzer empfing ihn mit Jubel und offenen Armen. Vielmehr mit offenen Beinen, die auch gleich in Bewegung gesetzt wurden, um dem runden Gesellen alle Ehre zu erweisen. Da ging es zur Sache und ordentlich hin und auch her und das schwarze Netz hatte alle Hände voll zu tun, vielmehr alle Maschen toll zusammenzuhalten. Der neue Besitzer und der runde, gelbe Geselle wurden rasch unzertrennlich und begleiteten sich gegenseitig überall hin. Ab und an durften auch andere Beine, vielmehr Füße dem treuen Gesellen Ehre erweisen, natürlich konnten sie das keineswegs so gut wie die Beine, vielmehr Füße des jungen Besitzers. Die wurden schließlich in ihrer Güte übermütig und kümmerten sich derart rasant um den gelben Runden, dass der leicht verdutzt die Treppe hinunter hüpfte. Und dann, einmal in Fahrt geraten, nicht mehr Halt, sondern sich selbstständig machte. Und gar nicht mehr an die ebenso rührigen wie rührenden Füße seines Besitzers dachte. Die kamen ihm nicht hinterher, als er weitere Hürden mit Leichtigkeit nahm, um Hindernisse herum hopste und immer noch weiter kollerte, schneller und noch einmal schneller, als habe ihm das rasante Kümmern einen solchen Energiestoß versetzt, dass er in alle Ewigkeit hüpfen und rollen und kollern könnte, ein rundum gelungenes Perpetuum mobile.

Und dann?

War der runde Geselle schwuppdiwupp weg.

Wie jetzt und wo?

Er hat einen Schlund übersehen, der hat ihn geschluckt. Ehe er sich’s versah.

Und nun?

Geht’s ihm unterirdisch. Nehme ich mal an. Oder wie sonst geht es einem verwaisten Gesellen in der Kanalisation?

Esercizi di Fantastica

Graue Herren wie bei Momo, auch wenn sie knielange, also kurze Hosen anhaben, dazu Kniestrümpfe und hohe Pelzmützen, die an diejenigen der britischen Palastgarde erinnern. Genau genommen zwei Herren und eine Dame. Eine Dame in einem grauen kurzen Rock. Mit Kniestrümpfen in Grau. Ein eintöniges Zimmer mit geschlossenem Fenster und geschlossener Tür. Die drei eilen um den Tisch, halten in den Händen die Handys und die Köpfe darüber gebeugt. Das ist der Kontakt, den sie haben, der einzige Kontakt, dem sie sich beugen. Der auch den Takt vorgibt. Einen schnellen Takt.

Dann flattert plötzlich etwas herein, das sie nicht (mehr) kennen, ein Schmetterling, ein großer und roter Schmetterling. Was ist das? Sie müssen erst einmal ihre Handys befragen. Aha :“butterfly“. Butterfly? Butterfly! Mit dem Flattern erreicht eine luftige Musik das bleierne Stummsein und zögerlich, aber unaufhaltsam beginnt die Verwandlung. Noch unbeholfen zunächst, dann zunehmend gelenkiger entfalten sich andere Bewegungen außer scrollen, wischen und tippen. Erstaunt schauen zwei sich an, geraten sich versehentlich in die Arme beim Haschen nach dem Schmetterling. Der dritte (ver)weigert sich : no butterfly, butterfly no. No! Aber die Butterfly-Wirkung hält an, das zugeschlagene Fenster wird immer wieder geöffnet, schließlich der Raum verlassen, Bewegungen und Bewegtheit nehmen zu, tanzen, springen, purzeln, klettern, alles ist möglich und wird probiert. Hören können die Grauen plötzlich auch, hören und fühlen, den Sturm, das Gewitter, das Flattern des Schmetterlings, auch der öde Raum gerät in Bewegung, ist eine Bretterbude, ein Klettergerüst, ein Zelt, und endlich ist auch der dritte Graue dem Butterfly verfallen und alle drei fliegen mit bunten Schwingen, die sie von der Außenhaut des Raums gelöst haben, Schwingen in Blau, in Gelb und in Rot, wie der groß gewordene Jemand richtig bemerkt.

Der groß gewordene Jemand, der seit Kurzem Gemaltes mit den Buchstaben seines Namens signiert, ist gerade groß genug geworden für das Bühnenerlebnis, und er und die nonna lachen so richtig laut um die Wette. Als schließlich in der letzten Szene der ganze Saal in tanzende Lichtreflexe getaucht und die Musik mitreißend rhythmisch wird, die öden Wände des Raums kunterbunt und die ehemals Grauen frühlingshaft verwandelt sind, fragt ein groß gewordener Jemand : „Und was kommt jetzt?“

(Burghof Lörrach)

Zweiter Sonntag nach Epiphanias

Wegen des Herzens der Barmherzigkeit unseres Gottes wird uns besuchen das aufstrahlende Licht aus der Höhe, um allen zu leuchten, die in Finsternis sitzen und im Schatten des Todes, um hinzulenken unsere Füße auf den Weg des Friedens.

(Lukas 1,78-79; aus dem Lobgesang des Zacharias; heutiger Lehrtext der Herrnhuter Losungen, nach der Interlinearübersetzung Griechisch-Deutsch und der Einheitsübersetzung)

Zeitläufte

Das neue Jahr ist schon wieder über den halben Januar hinaus fortgeschritten und noch immer steht die Weihnachtskrippe. In meinem Elternhaus stand sie auf jeden Fall bis zu diesem 18.Tag des Jahres, denn: es war der Geburtstag der Mutter. Und nicht nur das, sondern auch der Hochzeitstag, allerdings zählte da vor allem der kirchliche und der lag im März, am Geburtstag des Vaters. Zur kirchlichen Hochzeit an einem schneereichen Tag trug die Braut das Kleid, das später den Töchtern als besondere Verkleidung willkommen war. Die Erinnerung an den Brautstrauß frischte der Vater zeit seines Lebens mit dem Geschenk von Freesien auf.

Ich glaube, dieses Jahr steht die Krippe bis Mariä Lichtmess, dem Fest der Darstellung des HERRN im Tempel. Wie alle jüdischen Erstgeborenen wurde Jesus von seinen Eltern vierzig Tage nach seiner Geburt („Quarantäne“!) zum Tempel in Jerusalem gebracht und dort dem HERRN dargestellt, so berichtet es der Evangelist (und Arzt) Lukas, und vierzig Tage nach Weihnachten, zu Mariä Lichtmess endete früher die Weihnachtszeit. An diesem Tag, dem 2.Februar, hat das Tageslicht schon einen eine Stunde längeren Lauf als am Tag der Wintersonnwende.

Ein guter Platz

Gibt es hier bald ein Playmobil-Museum? Könnte sein! Bestände aus mehreren Generationen sind vorhanden und werden stetig erweitert. Zum Beispiel, wenn ein groß gewordener Jemand noch größer geworden ist. Und selbst eine nonna findet Gefallen an den Figuren, zumal wenn sie historische Persönlichkeiten verkörpern. Sie tun dies auf einfache, schlichte Weise und sind gerade deswegen schön. Die Reduktion auf ihre Insignien und auf ihre Haltung dazu kommt ihnen zupass, zeichnet sie aus, charakterisiert und verortet sie. Sie wissen, wohin sie gehören, woran sie sind, was sie zu tun und zu lassen haben. Und ihr Umfeld weiß das auch.

Na, lieber Herr Geheimrat von Goethe, gefällt Ihnen Ihr Platz?

(Kleiner Tipp: es handelt sich um ein Schreibpult )

(Und: wie ich sehe, haben Sie Ihr Werkzeug in der richtigen, nämlich linken Hand, Sie Linkshänder! – Glück gehabt, Kuratorin)

Sing along!

Nun wirbt sogar die Krankenkasse, die sich sonst für Sport und gesunde Ernährung einsetzt, in einem Post für das Singen. Geradezu enthusiastisch. Nicht nur würden sich dadurch die Immunglobuline A auf den Schleimhäuten der oberen Atemwege stark vermehren und deshalb vor Infekten schützen, sondern das Singen befördere auch das Glückshormon Dopamin und das vertrauensbildende und angstreduzierende „Kuschelhormon“ Oxytocin, außerdem entspanne es nachweislich durch die Reduktion von Stresshormonen. Und das alles komplett unabhängig von der Güte des Gesangs! Nur das „wie oft“ zählt! Also: Quantität vor Qualität ist gefragt! Jeder kann und sollte!

Da passt es ja ausgezeichnet, dass die Landesmusikräte die Stimme zum Instrument des Jahres 2025 erkoren und gestern das Jahr der Stimme offiziell eröffnet haben, allen voran der schleswig-holsteinsche Landesmusikrat! Kristina Herbst als Schirmherrin bezeichnet dieses älteste Instrument des Menschen als dasjenige, „mit dem wir das Leben bestreiten“.

Und der Motettenchor Lörrach hat seine Stimmen auch wieder eingesungen, traditionell zu Beginn der ersten Probe des Jahres mit dem wundervollen Neujahrslied von Felix Mendelssohn-Bartholdy, dann aber mit raschem Wechsel zum Deutschen Requiem von Johannes Brahms bei ambitioniert kurzem Probenplan bis zum Konzert am 16.März (in der Bearbeitung für Kammerorchester, arr. Joachim Linckelmann).  Da kommt mir doch sehr entgegen, dass ich meine aktiven Brahms-Requiem-Kenntnisse nach 1983 und 2010 im September 2024 in Verona, Venedig und Mantua aufgefrischt habe!

Also bestreiten wir es mal weiter, das Leben, mit unserer Stimme, so oft wie nur irgend möglich, summend, trällernd, flüsternd, resonierend, modulierend, piano, forte, im Chor, alleine, unter der Dusche, beim Spazierengehen, im Gottesdienst, wo und wie auch immer:

Sing, sing along!

https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/hamburg_journal/Die-Stimme-ist-das-Instrument-des-Jahres-2025,hamj154728.html

Punica granatum

Warum hat ein perfekter Granatapfel 613 Kerne? 

Weil die Tora 613 mizwot enthält, 613 Ge- und Verbote, wie Rabbi Simlaj  (3.Jh.n.Chr.) dies im Talmud gesagt hat, 365 negative Gebote wie die Tage des Jahres und 248 positive entsprechend den Gliedern des Körpers. Rosh HaShanah, das jüdische Neujahrsfest, ist nicht ohne den Granatapfel zu feiern, überhaupt spielt der leuchtende Apfel in den Kulturen des vorderen Orients eine große Rolle, in den drei monotheistischen Religionen gilt punica granatum ( so der botanische Name, der sich von der Bezeichnung für Phönizier und für Kern ableitet) als paradiesische Frucht und symbolisiert ein Leben in Fülle, ein geradezu überquellendes Leben. Granatäpfel und Granatapfelbäume werden mehrfach im Tanach (Alten Testament) erwähnt, zum Beispiel im 2.Buch Mose, im 1.Buch Könige, im Hohelied, bei den Propheten Joel und Haggai, aber auch im Koran tauchen sie in mehreren Suren auf. Im Judentum gehören sie neben Feigen, Weintrauben, Oliven, Datteln, Weizen und Gerste zu den bedeutsamen sieben Arten, mit denen das Gelobte Land gesegnet war, was ihnen auch zu ihrem Stellenwert in der Kunst verhilft. Später wird der Granatapfel in künstlerischen Darstellungen noch zu einem Symbol für die Kirche als Ekklesia oder er symbolisiert Jesus. Zudem ist er eine Heilfrucht, wirkt zellschützend, gefäßschützend, hormonausgleichend, vitalisierend. Diese Eigenschaften dürften es auch sein, die ihn oder seine Inhaltsstoffe haben Einzug halten lassen in die Vital Augencreme für reife Haut, jeden Tag kann man also beim Auftragen des Kosmetikums auf die empfindliche Periorbitalhaut darüber nachdenken, welch reichhaltige Bedeutungsgeschichten man sich da mit einklopft.

Mag jemand recherchieren, ob das Bio-Edelweiß aus den Schweizer Alpen auch so Einiges zu erzählen hat? In der Bibel jedenfalls blüht es nicht und es hat auch keine 613 Kerne.