Morning Sunshine

Er macht er sich gerade etwas rar, der morning sunshine, und ich kann auch nicht, wie noch vor wenigen Tagen, das ‚Alpenglühen‘ beobachten an den basylonischen Türmen. Umso mehr halte ich mich des Morgens an meinen Lieblingskaffeebecher, der mir den morning sunshine garantiert, und zwar in leicht ungelenken schlanken Majuskeln, als habe sie soeben jemand mit einem schwarzen Filzstift auf das Porzellanweiß geschrieben.

Es ist ein ganz einfacher Becher, aus einem Billigladen, ich bekam ihn einmal geschenkt. Ich mag seine Form, er hat eine nicht ausladende, ganz gerade, nicht zu breite Ausführung. Seine Höhe beträgt 10,6 Zentimeter, sein Durchmesser 7 Zentimeter und an seinem schmalen Henkel, der geschwungen ist wie ein halbes Herz, kann ich ihn gut in die rechte Hand nehmen und zum Mund führen, meist wärme ich dabei die Linke an der gegenüberliegenden Seite. Vor allem aber ist der Rand des Bechers maximal 2 Millimeter dick (es ist im gesamten Kreisrund nicht überall exakt gleich) – ich trinke nämlich nicht gern aus dickrandigen Gefäßen!

Aus diesem Gefäß mundet der Inhalt gut, ein Inhalt, der sich der Farbe der Majuskeln angleicht, ohne jegliche Beigabe von Becherfarbe (weder in flüssiger noch in würfeliger oder sonstwie gearteter Form). Der Inhalt des Bechers verharrt also noch in der Farbe der Nacht, der Inhalt der schwarzen Aufschrift aber kündet mir von dem, wonach ich lechze: MORNING SUNSHINE .
 

Blaugrün

Sie steht und schaut aufs Wasser.

Es ist nicht ihr gewohntes Wasser, nicht das, auf das sie immer blickt im September, seit Jahren, genaugenommen seit Jahrzehnten. Sie hat auch nicht den Sand unter den Füßen, von dem sie jedes Korn zu kennen glaubt, das sich unter ihren Fußsohlen und zwischen den Zehen findet. Auch weht ihr nicht jener Wind die Haare ins Gesicht, der Luftmatratzen und Sonnenschirme fliegen lässt, wenn er auffrischt.

Nein, sie steht in einem kleinen Kunstraum, in den sie zufällig geriet, als sie verwinkelten Gassen folgte und über kleine Brücken stieg. Werke aus einem fremden Land füllen den Raum, manche üppig und farbenfroh, andere bedrückend und düster. Nur Wenige verweilen hier, der Eingang ist versteckt, draußen hat eine Spätsommersonne den Regen vertrieben und an den bekannteren Wassern drängen sich Menschen in luftiger Kleidung, mit großen Sonnenbrillen im Gesicht und hübschen Strohhüten auf den Köpfen.

Das Land im Kunstraum ist dreizehn Flugstunden entfernt, es ist kein kleines Land, viele leben dort. Fremdes Land, fremde Menschen. Sie erinnert sich, dort einmal eines dieser Patenkinder gehabt zu haben, sie hat nur Geld gezahlt, nicht den Briefkontakt ermöglicht, keine Zeit, andere Prioritäten.

Jetzt vertieft sie sich in die einfache Rötelzeichnung mit der Skizze einer Menschenschlange, angeführt von einem gebeugt gehenden Mann und einer müden Frau, die ein Kind trägt, ein größeres hält sich an ihr fest, auf dem Rücken schleppt die Frau die wenige Habe. Im Bildvordergrund links stehen zwei weitere Frauen, mit bedecktem Haar und weichen Zügen, die jüngere hat die Lider geschlossen, die Augen der älteren sind wach hinter großen Brillengläsern, mit beiden Händen umfasst die Frau den Kopf eines Jungen, als würde sie ihn segnen. Fremdes Land, nahe Menschen. Würde der Meeresspiegel dort einen Meter steigen, wäre der Lebensraum von Millionen vernichtet.

Im Kunstraum ist es ganz ruhig. Ein Fenster ist geöffnet. Milde Luft berührt die Exponate. Sie wendet den Blick weg von der Zeichnung durch die Gitterstäbe des offenen Fensters. Auf dem Blaugrün des Wassers, das bis ans Fenster reicht, tanzt das Sonnenlicht und die Holzpfähle gegenüber haben gelbe Enden.

(Text vom 24.November 2024, etwas überarbeitet)

Widmungen aus Licht

Ich habe ihn gewonnen! Den Ausstellungskatalog der Dan Flavin- Ausstellung „Widmungen aus Licht“, die vom 2.März bis 18.August 2024 im Kunstmuseum Basel stattfand! Gewonnen habe ich ihn im Adventskalender-Gewinnspiel des Museums (der kreativste Kommentar gewinnt) und dieser Tage dort abgeholt (ich muss sagen, dass ich diesmal den absolut besten Tag zum Gewinnen erwischt habe; und: es ist nicht schwer zu gewinnen, es machen nämlich nicht viele mit). Der Katalog widmet mir äußerlich ein Burgunderrot und innerlich reichhaltige Lichtsensationen in Bild und Text. „Neben dem Licht als Medium (die Leuchtstoffröhre) und dem Licht als ‚conditio sine qua non‘ der Kunstbetrachtung (physikalisch), hat das Licht auch andere Konnotationen, sei es, dass es ohne (natürliches) Licht kein Leben gäbe oder dass das (metaphysische) Licht in den Weltreligionen und den dazugehörigen Theologien für gewöhnlich mit dem Göttlichen in Verbindung steht“, heißt es im Vorwort des Kunsthistorikers und Kurators Josef Helfenstein.

Natürlich will ich nicht nur den Katalog in Empfang nehmen, sondern auch die Lichtflutung noch einmal erleben, dazu begebe ich mich ins Untergeschoss und in den Verbindungsgang zwischen Alt- und Neubau, da ist sie noch, die unbetitelte Blaugrüne, über die ich am 17.August 2024 schrieb: „…und nun bin ich vom Meer umgeben, ich tauche und gleite schwerelos dahin.“

(Nebenbei: wieviel Klammern () tauchen in dieser kurzen Strecke nicht unter, sondern auf?)

(Dan Flavin, 1933-1996, US-amerikanischer Künstler des Minimalismus)

Der Büroaufsteller

Ich war sehr gespannt, mit welchem Gemälde mich der Büroaufsteller heute empfangen würde nach der Weihnachtspause. Und dann wurde ich überrascht von der Delphischen Sibylle, jener inspirierten Seherin, die Michelangelo Buonarroti (1475-1564) im Jahr 1509 an die Decke der Cappella Sistina malte (unter anderem, versteht sich – von 1508 bis 1512 war er mit den Fresken der Decke beschäftigt).

Da sitzt die Sibylle, wendet den Kopf von ihrer Lektüre ab nach links, die weit offenen Augen folgen der Kopfbewegung oder der Kopf der Augenbewegung, sie sieht …

In meinem Elternhaus hing ein gerahmter Nachdruck dieses Sibyllenkopfes, nur der Kopfausschnitt mit diesen großen, bewegten Augen und dem leicht geöffneten Mund.

Und ausgerechnet jetzt, wo er bald ausgedient hat, bringt der Büroaufsteller Datum und Wochentag wieder in Einklang!!

Demontage

In Basel wird Weihnachten demontiert, es erschallen schon an allen Ecken die „Blaggedde“– Rufe und erste „Räppli“ bilden bunte Bodenmuster.

„Syg wie de wottsch“ ist das Motto der drei scheenschte Dääg, gibt mir das Netz unter „Blaggedde 2025“ Auskunft und ergänzt, dass die Fasnachtsplakette ein „Must-Have“ sei (sic!), das vom Plakettenkünstler Guido Happle gestaltet wurde. 22 Künstlerinnen und 54 Künstler haben gesamt 111 Vorschläge eingereicht und der von Herrn Happle hat zum vierten Mal den Sieg errungen. Je nach Ausführung, die von Kupfer über Silber und Gold bis zu Bijou reicht, löhnt man für die Blaggedde zwischen 10 und 100 Schweizer Franken als einflussfreie Unterstützung für die Kreativen.

Also: schmücken wir nicht mehr die Weihnachtsbäume, sondern uns selbst mit der „Hüterin der Unabhängigkeit“ (der Ehrentitel wurde der Blaggedde verliehen) und stimmen in den diesjährigen Blaggedde-Värs ein: „Jä, unsri ney Fasnachts-Blaggedde/het ussergweenlig vyyl Facette/…/E jede freut sich ab em ander/e herrlig Gwiehl e Duurenander…“.

Alles klar??

„Fant“- asia

„Fant“ verlautbart der freudige Fratz, kaum dass er zur Tür herein gekommen ist, und steuert schon schnurstracks auf die Schublade zu, wo er die kleine Elefantenherde versammelt weiß und mit ihr einen Löwen samt Mähne, eine große und eine kleine Giraffe, ein Zebra mit geringelten Beinen, ein Nashorn samt Nashorn-Baby. Und kaum ist die blaue Tasche aus der Schublade gezogen, marschieren die freigelassenen Tiere schon auf dem kleinen Teppich, vielmehr durchs große Afrika, und der Löwe brüllt laut, die Giraffe streckt ihren langen Hals noch länger, der Elefantenbulle trötet fröhlich sein Törööö, das Nashorn stillt seinen Durst an der Teppichwasserstelle und der „Fant“-asia sind keine Grenzen gesetzt.

(Foto: Ursula Nuber, Hrsg.: „Wenn ich schreibe, habe ich niemals Angst“, Beltz-V., Weinheim u.Basel 2013; Ilse Helbich „Wie das Leben so spielt“, Literaturverlag Droschl, Graz-Wien, 2.Aufl.2023)

Matisse 3

(Text vom 28.Dezember 2024)

Nur einen kurzen Blick habe ich auf Collioure geworfen, länger dafür in Nizza verweilt, in Begleitung eines jungen Mannes, dessen erster Name der eines Psalmdichters ist, der zweite dem nachgebildet, den wir an Weihnachten im „Veni, Veni“ angerufen haben.

In Nizza ist kein Weihnachten, Sommer aber kann es auch nicht sein, sonst säße die Frau nicht im langärmligen Kleid auf dem Balkon und sie würde auch keine langen schwarzen Strümpfe zu ihren schwarzen Pumps tragen. Kalt jedoch ist es auch nicht, denn das Zimmerfenster steht weit offen und die Frau auf dem Balkon hat keine Jacke an und braucht auch keine Decke. Es geht kein Wind, der dunkle Pagenkopf der Frau sitzt fest, die langen Vorhänge zu beiden Seiten des Fensters sind nicht gebauscht, das Meer landet nur mit einer einzigen weißen Gischtwelle an, ansonsten dehnt es sein tiefes Blau ruhig bis zum Horizont, auch bleibt die schwarze Vase mit ein paar roten Blüten ungerührt auf dem Tisch links im Zimmer stehen und die weiße Tischdecke fällt unbewegt fast bis zum Boden. Der Himmel hat keine Wolken, leiht aber sein helles Graublau dem hohen Fensterflügel rechts, links ist der türkisgrüne Schlagladen nach außen gewendet und im oberen Teil verbirgt der helle, durchsichtige Vorhang dessen Ritzen, nicht aber seine Farbe. Ein bisschen Sonnenlicht fällt von links herein, der rechte Vorhang fängt es im oberen, ausgebreiteten Teil ein, so dass er im Weiß der Welle erstrahlt, nach unten wird er von einem schrägen Band gefasst, wie auch der linke.

Saß die Frau eben noch im Stuhl mit der ovalen, gepolsterten Rückenlehne, der hinter dem Tisch vor der Wand steht, und ist sie es, die das an der Wand hängende Gemälde abbildet? Das Kleid jedenfalls hat denselben Schnitt und die gleiche beige Farbe. Oder saß die Frau im Halbrund des Sessels vor dem Tisch? Gut hätte sie sich dort farblich eingefügt. Das Buch, das mit dunklem Rücken nach oben links neben der Vase auf dem Tisch liegt, verrät nicht, ob die Frau von Stuhl oder Sessel aufstand, um den Platz auf dem Balkon einzunehmen. Aber steht nicht der Sessel etwas vom Tisch weg und nach rechts in den Raum geschoben, so dass doch er es ist, auf dem eben noch jemand saß? Vielleicht ja gar nicht die Frau, sondern ein Gegenüber, jemand, der sich nun weiter ins Innere zurückgezogen hat und von erhöhter Position auf die Szenerie schaut? Auf den zartroten diagonal gekachelten Boden, das kleine Beistellmöbel aus dunklem Holz rechts, auf das sanfte Muster der Wände, die jetzt wie entfernt wirkende Frau auf dem Balkon? Jemand in einer Höhe mit dem blauen Horizont, jemand, der nun sieht, dass – obwohl in Nizza rar – der Sand es ist, der den Wänden, dem Sessel, dem Kleid der Frau und dem Balkon die Farbe übertragen hat.

„Das ist wohl dein Thema“ meint mein junger Begleiter, nachdem ich auf meine Lieblingsexponate der Ausstellung hingewiesen habe, die sämtlich -meist offene- Fenster ins Bild rücken. Auf jeden Fall war es ein zentrales Thema von Henri Matisse, wie der Text zu „Grand intérieur, Nice“ (Öl auf Leinwand, Nizza 1919) im Begleitheft weiß: „Das Motiv des offenen Fensters als Schnittstelle zwischen innen und außen hat Matisse immer wieder fasziniert, insbesondere in Zeiten der künstlerischen Krise.“

(Matisse-Einladung zur Reise, Fondation Beyeler noch bis zum 26.Januar 2025; das Bild „Grand intérieur, Nice“, Nizza 1919, hängt sonst in The Art Institute of Chicago)

Epiphanias – Dreikönig – Trois Rois

In Baden-Württemberg ist heute Feiertag, „Heilige Drei Könige“ steht in meinem Kalender. In den benachbarten Schweizer Kantonen gilt der Tag als „Ereignistag“, aber nicht als Feiertag. Und wer weiß noch, dass Epiphanias ist – Fest der Erscheinung des HERRN? Die orthodoxen Kirchen feiern das Hochfest der Theophanie des HERRN, in den Westkirchen ist der Tag den Weisen aus dem Morgenland und ihrer Anbetung des Kindes zugeordnet. „Die Magier aus dem Osten“ ist in der Elberfelder Bibel das Kapitel im Matthäusevangelium überschrieben und nur von diesem Evangelisten werden die „Magoi“, die Weisen oder Sterndeuter, erwähnt (Mt.2). Auch ist nicht genannt, wie viele dieser Magoi es waren, die im Morgenland den Stern sahen, ihm dann folgten und sich mit sehr großer Freude freuten, als sie ihn über der Stelle sahen, wo das Kind war. Drei wertvolle und bedeutungsreiche Gaben bringen sie, dies ist eine von mehreren Erklärungen, warum später drei Könige aus ihnen wurden.

In unserer Regio Trirhena sind die drei Könige auch angekommen. In Lörrach residieren sie am Marktplatz, das „Drei König“ wechselt zwar des Öfteren den Besitzer und das Konzept, nicht aber den Namen. In Basel existiert als eines der ältesten Hotels der Schweiz das „Les Trois Rois“, 1681 wurde es erstmals als „Herrenherberge und Gasthof zu den drei Königen“ erwähnt. Es liegt direkt am Rhein und an der Mittleren Rheinbrücke, und schaut man an seiner Straßenfront hinauf, sieht man die Drei Könige hoch über dem Eingang auf ihren Podesten stehend thronen. Das „Les Trois Rois“ (bis 2006 „Hotel Drei Könige“)  gehört als 5-Sterne-Luxushotel heute zu den „Leading Hotels of the World“ . Eine im Netz zu findende Publikation des Hotels titelt „Grosses Hotel – Grosse Geschichte“ und liefert mir eine Erklärung auf meine Frage, warum Hotels den Namen Drei Könige tragen: offenbar war dieser Name beliebt für Gast- und Wirtshäuser in der Nähe von Handelswegen. Das Basler Hotel hat bereits viele prominente Menschen beherbergt, zum Beispiel Königin Elisabeth II., Kaiserin Michiko von Japan, Felix Mendelssohn-Bartholdy, Franz Liszt, Robert und Clara Schumann, Gustav Mahler, Ella Fitzgerald, Bob Dylan, die Rolling Stones, Katia und Thomas Mann, Willy Brandt, Helmut Schmidt, Valéry Giscard d´Estaing, den Dalai Lama, Pablo Picasso, Marc Chagall, Jean Tinguely, Niki de Saint-Phalle- und auch Napoléon Bonaparte war dort schon Gast. Während des fünften Zionistenkongresses entstand 1901 das bekannteste Foto Theodor Herzls: Herzl steht mit gefalteten Händen, die Ellenbogen aufs Geländer der Terrasse des Trois Rois gelehnt, und schaut – wohin? Nicht auf den unter ihm fließenden Rhein.

Zweiter Sonntag nach Weihnachten

In manchen Kirchengemeinden ist es Usus, im Gottesdienst zum Jahresausklang Losungskärtchen zu ziehen für das neu beginnende Jahr. Nicht im Sinne eines Orakels, sondern als eine Begleitung durch das Jahr. Ich habe am 31.Dezember die Karte „Ewigkeit“ gezogen und war doch etwas erstaunt über die Dimensionen einer solchen „Begleitung“. Keine lineare Dimension der Zeit in der Art, wie wir oft Zeit verstehen. Im angegebenen Vers 1.Petrus 1,25 heißt es „Aber das Wort des HERRN bleibt in (die) Ewigkeit (hinein).“ Im griechischen Text steht hier für „Wort“ rhema, nicht logos.

Das Bild des Baumes auf dem Kärtchen dazu gefällt mir, der Baum ist mit den Wurzeln in der Erde verankert und wächst mit den Ästen in die Unermesslichkeit des Universums hinein. Das Gesagte, die Kunde ist bleibend in die Ewigkeit hinein.