Das neue Jahr ist schon wieder über den halben Januar hinaus fortgeschritten und noch immer steht die Weihnachtskrippe. In meinem Elternhaus stand sie auf jeden Fall bis zu diesem 18.Tag des Jahres, denn: es war der Geburtstag der Mutter. Und nicht nur das, sondern auch der Hochzeitstag, allerdings zählte da vor allem der kirchliche und der lag im März, am Geburtstag des Vaters. Zur kirchlichen Hochzeit an einem schneereichen Tag trug die Braut das Kleid, das später den Töchtern als besondere Verkleidung willkommen war. Die Erinnerung an den Brautstrauß frischte der Vater zeit seines Lebens mit dem Geschenk von Freesien auf.
Ich glaube, dieses Jahr steht die Krippe bis Mariä Lichtmess, dem Fest der Darstellung des HERRN im Tempel. Wie alle jüdischen Erstgeborenen wurde Jesus von seinen Eltern vierzig Tage nach seiner Geburt („Quarantäne“!) zum Tempel in Jerusalem gebracht und dort dem HERRN dargestellt, so berichtet es der Evangelist (und Arzt) Lukas, und vierzig Tage nach Weihnachten, zu Mariä Lichtmess endete früher die Weihnachtszeit. An diesem Tag, dem 2.Februar, hat das Tageslicht schon einen eine Stunde längeren Lauf als am Tag der Wintersonnwende.
Gibt es hier bald ein Playmobil-Museum? Könnte sein! Bestände aus mehreren Generationen sind vorhanden und werden stetig erweitert. Zum Beispiel, wenn ein groß gewordener Jemand noch größer geworden ist. Und selbst eine nonna findet Gefallen an den Figuren, zumal wenn sie historische Persönlichkeiten verkörpern. Sie tun dies auf einfache, schlichte Weise und sind gerade deswegen schön. Die Reduktion auf ihre Insignien und auf ihre Haltung dazu kommt ihnen zupass, zeichnet sie aus, charakterisiert und verortet sie. Sie wissen, wohin sie gehören, woran sie sind, was sie zu tun und zu lassen haben. Und ihr Umfeld weiß das auch.
Na, lieber Herr Geheimrat von Goethe, gefällt Ihnen Ihr Platz?
(Kleiner Tipp: es handelt sich um ein Schreibpult )
(Und: wie ich sehe, haben Sie Ihr Werkzeug in der richtigen, nämlich linken Hand, Sie Linkshänder! – Glück gehabt, Kuratorin)
Nun wirbt sogar die Krankenkasse, die sich sonst für Sport und gesunde Ernährung einsetzt, in einem Post für das Singen. Geradezu enthusiastisch. Nicht nur würden sich dadurch die Immunglobuline A auf den Schleimhäuten der oberen Atemwege stark vermehren und deshalb vor Infekten schützen, sondern das Singen befördere auch das Glückshormon Dopamin und das vertrauensbildende und angstreduzierende „Kuschelhormon“ Oxytocin, außerdem entspanne es nachweislich durch die Reduktion von Stresshormonen. Und das alles komplett unabhängig von der Güte des Gesangs! Nur das „wie oft“ zählt! Also: Quantität vor Qualität ist gefragt! Jeder kann und sollte!
Da passt es ja ausgezeichnet, dass die Landesmusikräte die Stimme zum Instrument des Jahres 2025 erkoren und gestern das Jahr der Stimme offiziell eröffnet haben, allen voran der schleswig-holsteinsche Landesmusikrat! Kristina Herbst als Schirmherrin bezeichnet dieses älteste Instrument des Menschen als dasjenige, „mit dem wir das Leben bestreiten“.
Und der Motettenchor Lörrach hat seine Stimmen auch wieder eingesungen, traditionell zu Beginn der ersten Probe des Jahres mit dem wundervollen Neujahrslied von Felix Mendelssohn-Bartholdy, dann aber mit raschem Wechsel zum Deutschen Requiem von Johannes Brahms bei ambitioniert kurzem Probenplan bis zum Konzert am 16.März (in der Bearbeitung für Kammerorchester, arr. Joachim Linckelmann). Da kommt mir doch sehr entgegen, dass ich meine aktiven Brahms-Requiem-Kenntnisse nach 1983 und 2010 im September 2024 in Verona, Venedig und Mantua aufgefrischt habe!
Also bestreiten wir es mal weiter, das Leben, mit unserer Stimme, so oft wie nur irgend möglich, summend, trällernd, flüsternd, resonierend, modulierend, piano, forte, im Chor, alleine, unter der Dusche, beim Spazierengehen, im Gottesdienst, wo und wie auch immer:
Weil die Tora 613 mizwot enthält, 613 Ge- und Verbote, wie Rabbi Simlaj (3.Jh.n.Chr.) dies im Talmud gesagt hat, 365 negative Gebote wie die Tage des Jahres und 248 positive entsprechend den Gliedern des Körpers. Rosh HaShanah, das jüdische Neujahrsfest, ist nicht ohne den Granatapfel zu feiern, überhaupt spielt der leuchtende Apfel in den Kulturen des vorderen Orients eine große Rolle, in den drei monotheistischen Religionen gilt punica granatum ( so der botanische Name, der sich von der Bezeichnung für Phönizier und für Kern ableitet) als paradiesische Frucht und symbolisiert ein Leben in Fülle, ein geradezu überquellendes Leben. Granatäpfel und Granatapfelbäume werden mehrfach im Tanach (Alten Testament) erwähnt, zum Beispiel im 2.Buch Mose, im 1.Buch Könige, im Hohelied, bei den Propheten Joel und Haggai, aber auch im Koran tauchen sie in mehreren Suren auf. Im Judentum gehören sie neben Feigen, Weintrauben, Oliven, Datteln, Weizen und Gerste zu den bedeutsamen sieben Arten, mit denen das Gelobte Land gesegnet war, was ihnen auch zu ihrem Stellenwert in der Kunst verhilft. Später wird der Granatapfel in künstlerischen Darstellungen noch zu einem Symbol für die Kirche als Ekklesia oder er symbolisiert Jesus. Zudem ist er eine Heilfrucht, wirkt zellschützend, gefäßschützend, hormonausgleichend, vitalisierend. Diese Eigenschaften dürften es auch sein, die ihn oder seine Inhaltsstoffe haben Einzug halten lassen in die Vital Augencreme für reife Haut, jeden Tag kann man also beim Auftragen des Kosmetikums auf die empfindliche Periorbitalhaut darüber nachdenken, welch reichhaltige Bedeutungsgeschichten man sich da mit einklopft.
Mag jemand recherchieren, ob das Bio-Edelweiß aus den Schweizer Alpen auch so Einiges zu erzählen hat? In der Bibel jedenfalls blüht es nicht und es hat auch keine 613 Kerne.
Zu einer der 52 Wanderungen begleitet man Franz Hohler auf den „Mons rigidus“, also den Rigiberg. Die Römer hätten ihn so genannt, weil er „stotzig“ sei, also steil. Eigentlich meint „rigidus“ ja steif und die Namensherkunft der „Regina montium“, wie der Dekan des Klosters Einsiedeln, Albrecht von Bonstetten, die Rigi in seiner Landesbeschreibung des eidgenössischen Gebiets 1479 taufte, ist wohl am ehesten dem schweizerdeutschen Gattungswort „Rigi“ zuzuschreiben, das eine horizontal laufende Schichtung bezeichnet. Darauf deutet die im 14. und 15. Jahrhundert gebräuchliche Verwendung der Pluralform „Rigenen“ hin, die 1439 durch die Verwendung des Singulars ersetzt wurde, wobei das sprachgeschichtlich richtige weibliche Geschlecht zwar nun meist, aber insgesamt nicht durchgehend verwendet wird. Die/der Rigi ist also ein Zwitterwesen.
Franz Hohler ist an einem Märzsonntag auf dem Rigi und sieht vor sich das „Inselreich der Alpengipfel“, das von „einem atlantischen Nebelmeer umspült“ wird, was ihn über allerlei dort herumschwimmende Steinzeittiere fantasieren lässt.
Das kann ich nachvollziehen, denn auch ich fahre an einem Tag im März mit dem Kursschiff „vo Luzärn uf Wäggis zue“, wie es im Rigilied heißt, das Johann Lüthi 1832 komponierte, allerdings begegnen mir im Schiff nicht die „schönen Maidli“ der zweiten Strophe, sondern eine Gruppe junger Männer, jeder mit Gebetsriemen und Kippa angetan. Das Schiff gleitet durch dichten Nebel, nur ab und an sehe ich an den Ufern Boote in ihren hölzernen Häusern hängen. Ich steige nicht in Weggis aus, sondern erst in Vitznau, wo mich die Schifflände um 10:09 Uhr mit ihren Jugendstilbuchstaben empfängt. Wenige Schritte sind es nur bis zur Zahnradbahn, die mich auf die Königin der Berge befördern soll. Dann geht es los, der Aufstieg beginnt, „liebi Gäscht“ sagt eine freundliche Stimme und „wir freuet üüs“, ich freue mich auch, zumal ich bald dem Nebelmeer enthoben bin, eine Märzensonne den Himmel erhellt und sich auf den Bergwiesen Unmengen von Schlüsselblumen tummeln. Dann bleibt mir das Himmelsblau, als ich in Kaltbad auf 1423 Meter über Normalnull aussteige, die Sonne spielt nun aber nicht mehr mit den gelben Blüten, sondern mit dem Schneeweiß, das ihr gerne ein Funkeln zurückwirft. Ich mache mich auf den ebenen Weg Richtung Känzeli und verpasse nicht die Waldkirche, die mich hinter einem hohen Felsbrocken überrascht, das Dach ihres mit Holzschindeln versehenen Vorbaus trägt eine Schneekappe und in ihrem Innern erwartet mich neben der Stille ein warmes Leuchten. Beim Weitergehen entdecke ich 900 Meter unter mir die Hohlerschen Seeungeheuer, die aufgetaucht sind, aber keinen Schrecken verbreiten, weil sie inmitten weißer Wattebäuschchen, in die der Nebel sich verwandelt hat, friedlich lagern. Bis ich beim Känzeli angelangt bin, hat die Sonne auch die Wattebäuschchen auseinandergerupft und ich habe einen wahrhaft königlichen Blick auf Luzern, auf die Wasserläufe des Vierwaldstättersees und auf die Firnis der Alpengipfel gegenüber.
Für Sonntage schlagen die Herrnhuter Losungen immer einen Psalm zu lesen vor, heute ist es der vierte. Manche Psalmen enthalten in Vers 1 die Angabe des Verfassers und dessen Anweisungen, wie der Psalm zu singen ist, hier sagt David „mit Saitenspiel“:
„Wenn ich rufe, antworte mir, Gott meiner Gerechtigkeit! In Bedrängnis hast du mir Raum gemacht…Der HERR hört, wenn ich zu ihm rufe. …Denkt nach in eurem Herzen auf eurem Lager, aber seid still!….Viele sagen, wer wird uns Gutes schauen lassen? Erhebe, HERR, über uns das Licht deines Angesichts! Du hast Freude in mein Herz gegeben, mehr als jenen zu der Zeit, da sie viel Korn und Most haben.“
(aus den Versen 2,4,5,7,8 nach der Elberfelder Übersetzung)
Weder das Ausstellungsplakat („Angel“, 1998) noch der Titel der Ausstellung „Machtspiele“ hatten mich besonders angesprochen. Dann aber bin ich im Kunstmuseum und entschließe mich, sie doch kennenzulernen: Paula Rego (1935-2022), die in ihrem Geburtsland Portugal und in ihrer Wahlheimat Großbritannien als sehr bekannt gilt; in ihrem Todesjahr wurde eine Auswahl ihrer Werke im zentralen Pavillon der 59.Biennale gezeigt .
Von neun Sälen gehe ich erst einmal nur durch vier und konzentriere mich dabei auf wenige Exponate, es ist nämlich aufwühlend, zum Teil auch widerspenstig, was die dreifache Mutter an Werken in den sieben Jahrzehnten ihres Schaffens hinterließ. Zumal Themen wie Machtdynamik in Politik und Gesellschaft, Geschlechterrollen und Geschlechterkampf uns derzeit auf teils nicht mehr für möglich gehaltene, auch alarmierende Weise einholen. Unbequemes und Verdrängtes habe Paula Rego in den Blick genommen, heißt es im Begleitheft, sich dabei Konventionen und Erwartungen widersetzt und „Werke von großer emotionaler Intensität“ geschaffen.
„Staatsgewalt“ ist Raum 3 überschrieben, Raum 4 mit „Geschlechterkampf“, in Raum 2 findet der Begriff der „Familienaufstellung“ Verwendung, „The Family“ heißt eines der Gemälde, für das ebenfalls 1988 entstandene „The Dance“ stand Paula Regos Sohn Nick im Anzug seines in diesem Jahr verstorbenen Vaters Victor Willing Modell. In „The Dance“ würde sich „der Wechsel von Beziehungen und Für-Sich-Sein als ein Rhythmus des Lebens“ zeigen, meint der Text des Begleithefts. Schön ist, dass im Raum auch vier Vorskizzen zu „The Dance“ zu sehen sind, die unterschiedliche Figurenkonstellationen probieren und entwickeln, von einem in der Gruppe getanzten Reigen hin zu anderen Konstellationen, die sich dann in der Komposition des Gemäldes erneut variiert und ausgearbeitet wiederfinden.
Saal 1 widmet sich den seltenen, weil von Rego nicht präferierten Selbstporträts („Selbstbilder“), ein Verwirrspiel seien diese oft, so gibt zum Beispiel ein Spiegelbild nicht Paula Rego, sondern ihr Modell wieder. Auf „The Artist in Her Studio“ (1993 mit Acrylfarben gemalt) inszeniert die Künstlerin sich raumgreifend und wie auf einer Bühne, im Vordergrund liegen – in diesem Ambiente unerwartet- detailliert dargestellte Kohlköpfe.
(noch bis 2.Februar 2025 im Kunstmuseum Basel; auf youtube ist ein knapp 14-minütiger Rundgang mit der Kuratorin Eva Reifert abrufbar: „Paula Rego im Kunstmuseum Basel“)