Daran erinnere ich mich noch, sagt der groß gewordene Jemand, als er die einfache alte Osterdekoration sieht, die nur einmal im Jahr zu betrachten ist. Und wenig später fragt er: ist das die Häschenschule? Ja, sagt da die nonna, genau (deswegen mag die nonna auch diese Dekoration, weil sie sie erinnert an „ein lustiges Bilderbuch von Fritz Koch-Gotha zu Versen von Albert Sixtus“). Der groß gewordene Jemand, der schon einige Buchstaben malen kann, obwohl er noch nicht in einer Schulbank sitzt, hat inzwischen schon so allerhand in seinem Kopf an (präzisen) Erinnerungen, an (schönen) Bildern, an (umfangreichen) Wortsammlungen (wie kommt zum Beispiel das Wort `Berufsgeheimnis´ da hinein? – er hat es nicht verraten) und an (wundervollen) Überlegungen zu seiner eigenen Frage, warum Kirchen immer so schön sind und so viele Sachen darinnen. Manchmal allerdings mag er gewisse Worte nie wieder hören, zum Beispiel (nach einer etwas aus den Fugen geratenen Wanderung) das Wort Wanderwege. Wobei – mit ein wenig Abstand wird korrigiert: das Wort, das er nie wieder hören will, lautet SCHLUCHTEN.
(auf meiner Ausgabe der Häschenschule ist Alfred Hahn´s Verlag K.G. Hamburg, Verl.Nr.32 angegeben; es gibt auch Ausgaben des Esslinger-Verlags)
Dann und wann erhalte ich schöne Geschenke. Sogar in solchen, die ich mir selber mache.
Ich habe nämlich weitere Bücher von Peter Bichsel (1935-2025) bestellt, am Karsamstag sind sie eingetroffen. Der schmale Insel-Band Nr.1227 (erste Auflage 2002) wird am Ostermontag geöffnet. Und was grüßt mich da in blauer, aufrechter Schrift? Ein Autogramm von Peter Bichsel! Zum Autogramm gehört etwas, das ich hier nicht vollständig abbilden kann, man findet aber Bilder im Netz und in einem Artikel der GBW vom 01.04.2025 (von Carl Bossard) auch die Erklärung, was dieses Etwas links neben dem Namen sein soll: das Bichsel-Blümchen. Hm. Ich sehe kein Blümchen. Man könnte an ein großes, sich himmelwärts reckendes spiegelverkehrtes P denken, dessen lange Gerade unten in ein fließendes und sich erdwärts in eine Welle fortsetzendes, ebenfalls spiegelverkehrtes B übergeht. Oder aber an einen eigens geschaffenen Notenschlüssel für eine sehr besondere Musik.
Da der Schweizer Germanist und Schriftsteller Peter von Matt am Ostermontag, den 21.April 2025 in Zürich gestorben ist (geboren am 20.Mai 1937 in Luzern), fällt mir zuerst die letzte der im Bändchen versammelten Geschichten ins Auge Die mehreren Peter von Matt oder kampanischen Nationalgesichter. Und darin begegnen mir mit den vervielfältigten Peter von Matts Kellner, Flüchtende, Schaffner, im Kopf stattfindende Leben, Schnee, Rom, richtige und falsche Bücher, Jean Paul, Japan, Speisewägen, Petersinseln, Erzengel, Schweizer Alpen, Germanisten, Inhaltsverzeichnisse von Köpfen, die Transsibirische Eisenbahn, Olten, Basel und noch so viel mehr auf zwölfeinhalb Seiten.
Fazit: Es lohnt sehr, das Eisenbahnfahren mit Peter Bichsel.
(Peter Bichsel „Eisenbahnfahren“, herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Rainer Weiss, Insel-Bücherei Nr.1227)
Abends nehme ich die Enzyklika Laudato si´ von Papst Franziskus in die Hand, deren 5.Auflage (hg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls Nr.202) ich am 15.März 2025 aus der Bonifatiuskirche Lörrach mitgenommen habe, nach der Probe für das Konzert des Motettenchores mit Brahms Deutschem Requiem.
Über die Sorge für das gemeinsame Haus ist die am 24.Mai 2015 veröffentlichte Enzyklika weiter betitelt, Nichts von dieser Welt ist für uns gleichgültig lautet die Überschrift eines Abschnittes der Einleitung.
Am Ende der Überlegungen und Vorschläge (z.B. zu Die menschliche Wurzel der ökologischen Krise, Eine ganzheitliche Ökologie , Ökologische Erziehung und Spiritualität) steht auch folgende Ermutigung:
„Gehen wir singend voran! Mögen unsere Kämpfe und unsere Sorgen um diesen Planeten uns nicht die Freude und die Hoffnung nehmen.“
Damit, dass ich Benedikt XVI. einmal an einem Mittwoch in der Audienzhalle (an der Grenze zwischen vatikanischem und italienischem Boden) erlebt habe – und das, nachdem er zwei Tage zuvor seine Rücktrittsankündigung gemacht hatte?
Damit, dass ich Franziskus sonntags beim Angelusgebet hoch oben klein in einem Fenster, groß aber auf den Monitoren des Petersplatzes sah?
Damit, dass ich in einem Dezember einmal als junge Studentin in einem Chor mit hunderten anderer junger Menschen hinter dem Bernini-Baldachin und hinter Johannes Paul II. stand und sang, während eines Taizé-Treffens?
Damit, dass ich am 11.Februar 2013 auf dem Weg von der U-Bahn-Station Lepanto zur Casa Valdese in ein heftiges Gewitter geriet, am nächsten Morgen von der Casa zum nahen Petersplatz lief, mich über die vielen Fernsehteams wunderte, die ihr Equipment installierten, und so erst von der Rücktrittsankündigung Benedikts XVI. erfuhr? Und später in den Medien Bilder sah vom Blitzeinschlag in die Kuppel des Petersdomes an diesem 11.Februar?
Damit, dass ich am 8.Dezember 1977 an der Colonna dell´Immacolata am südlichen Ende der Piazza di Spagna die Zeremonie der Ehrung der Marienstatue mit Paul VI. erlebte und an Weihnachten 1977 zusammen mit der Südtirolerin Maria die Christmette im Petersdom?
Damit, dass ich gerne Franziskus Stimme hörte, die italienisch sprach und in dieser Sprache Worte wie Barmherzigkeit und Zärtlichkeit benutzte?
Damit, dass ich vor Jahren Ratzingers ersten Band über Jesus von Nazareth las, der später erworbene zweite Band aber noch ungelesen im Regal steht (Herder-V.2011)?
Damit, dass meine Mutter mir einmal zu Weihnachten Karol Wojtylas Buch schenkte Der Gedanke ist eine seltsame Weite – Betrachtungen. Gedichte (Herder-V.1979)?
Damit, dass ich Anfang 2024 aus einem Nachlass das Buch von Papst Franziskus mitgenommen habe Wage zu träumen! , auf dessen Cover es heißt „Mit offenem Herzen die Welt verändern“ (Kösel-V.2020)?
Ich fange gar nicht an, sondern höre hier auf.
(der Artikel auf dem Foto stammt aus der ZEIT Nr.9 vom 21.Februar 2013)
In meiner Ausgabe des Evangelischen Kirchengesangbuches steht unter dem im Herrnhuter Losungsbüchlein für heute vorgeschlagenen Lied Nr.116 folgender Gebetstext der britischen Autorin Janet Morley:
O unvertrauter Gott, wir suchen Dich an Orten, die Du schon verlassen hast, und sehen Dich nicht, selbst wenn Du vor uns stehst. Gib, dass wir dich in Deiner Fremdheit erkennen und uns nicht an vertrauten Schmerz klammern, sondern frei sind, die Auferstehung zu verkünden, im Namen Christi, Amen.
Am 2.April habe ich einmal nachgedacht über
Maria aus Magdala:
Ach, mein Jesus, ich sehe dich nicht mehr. In deiner Nähe bin ich geblieben, bis zum Schluss.
Alles habe ich miterlebt, mit dir erlebt, seit du mich befreit hast aus meinen Zwängen und Ängsten, aus dem, was mich umtrieb und gefangen hielt. Ich spürte, mit dir konnte ich die sein, die ich eigentlich bin, eine Liebende, eine, die überfließend geben kann, weil ihr überfließend gegeben wurde. Weil du mir überfließend gegeben hast.
Ich wollte dein Leben teilen, von dir lernen, für dich sorgen, dir nahe sein und denen, die mit dir waren. Ich wollte dir nahe sein in Allem, auch in deinem Leiden, in diesem unfassbaren Geschehen. Und ich musste bei dir bleiben, auch bei deinem Grab, wenigstens dem Stein nahe, hinter den sie deinen Leichnam brachten.
Und nun? Sehe ich das Grab offen und dein Körper fehlt. Wo haben sie ihn hingebracht? Ich muss sofort zu Petrus und Johannes, vielleicht wissen sie, was zu tun ist.
Ach, da sind sie und schauen und jetzt gehen sie wieder und ich bin allein mit meiner Traurigkeit. Ich muss noch einmal nachsehen, aber nein, du bist nicht da, und wer ist das, diese zwei, die mich nun fragen, warum ich weine. Was für eine Frage. Sie sagen mir nicht, wo du bist.
Aber da, wer ist das, bestimmt der Gärtner, der muss es doch wissen und dann kann ich deinen Körper zurückholen.
Was, was sagt er? – Maria!
Oh, wie wird es mir da ums Herz! Das ist, ja das ist so vertraut!
Ja, Rabbuni, ja, ich habe dich nicht mehr gesehen, aber jetzt höre ich dich! Du bist es, mein Jesus! Und nun sehe ich auch, wer du bist! Und ja, ich halte dich nicht fest, ich eile fort von dir und verkünde, was du gesagt hast. Und ich weiß, du bleibst mir dennoch nahe und ich dir.
(nach Joh. 20,1-18; Joh. 19,25; Lk. 8,1-3; Lk. 24,10; Mt. 27,55-56; Mt.28,1;Mk.15,40-41,47;Mk.16,1-4,9-11; im Gegensatz zu vielen Darstellungen in der Kunst ist Maria Magdalena nicht identisch mit der in Lukas 7 namenlos erwähnten Frau, die Jesu Füße mit kostbarem Salböl salbte)
Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige, und ich war tot und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und des Hades. Schreibe nun, was du gesehen hast und was ist und was nach diesem geschehen wird!
(Offenbarung 1, 18 u. 19nach der Elberfelder Übersetzung; Vers 18 ist im Herrnhuter Losungsbüchlein dem heutigen Osterfest zugeordnet; Foto: Kirchenfenster aus der Reformierten Kirche Sent, der Baselgia San Lurench, aufgenommen am 11.April 2025)
Ich habe nicht gezählt, wie oft ich schon vor Michelangelos berühmter Pietà gestanden bin, in der ersten rechten Seitenkapelle des Petersdomes, der Cappella della Pietà. Seit einem Hammeranschlag auf das Werk am 21.Mai 1972 (mit regelrecht medizinischen Diagnosen der Verletzungen und geglückter restaurierender Therapie) hat sich eine Panzerglasscheibe zwischen die Betrachtenden und das aus einem einzigen Marmorblock geschlagene Werk geschoben. Der Anblick bleibt dennoch überwältigend.
Michelangelo ist jung, als ihm diese Vollkommenheit gelingt, ein französischer Kardinal hatte den 25-Jährigen beauftragt, als Schmuck für sein Grabmal „innerhalb eines Jahres eine lebensgroße Statue zu schaffen, die schöner ist als alle bisherigen Kunstwerke aus Marmor“. Zwei Jahre, von 1498 bis 1500, arbeitet Michelangelo an der Pietà, während seines ersten Rom-Aufenthaltes. Der Kardinal von Saint-Denis, Jean de Villiers de la Grolaye, Gesandter Karls VIII. beim Papst Alexander VI., stirbt 1499, die 1500 vollendete Pietà kommt in die Kapelle Madonna della Febbre und nach deren Abriss 1749 in den Petersdom.
Könnte ich gerade dort stehen und mich in jedes Detail der Pietà versenken! (Obwohl, jetzt gerade zu den Osterfeiertagen, dazu noch im Heiligen Jahr, ist sie bestimmt zu sehr umlagert). Ich begnüge mich mit dem Abbild, das ich habe, und mit Beschreibungen in verschiedenen Büchern. Wie der fast nackte Leichnam des Sohnes in den Schoß der vollständig bekleideten Mutter gegossen ist! Wie ihre rechte Hand ihn hält, die linke aber sich einverstanden erklärt mit dem Geschehen! Wie der tote Körper geborgen erscheint im Mutterschoß und mit dem rechten Fuß und der rechten Hand Kontakt hält zu den Gewandfalten! Wie lebensecht überhaupt die Füße, die Knöchel, die Knie, die Hände, die Adern sind! Und wie jung sie ist, diese Maria, mit ihrem befriedeten Gesicht, fast jünger als ihr Sohn, sie könnte eine Schwester sein!
Ascanio Condivi (1525-1574, italienischer Maler und Autor, Schüler, Mitarbeiter und Biograph Michelangelos) schreibt: „Diese Madonna sitzt auf dem Stein, wo das Kreuz aufgerichtet war, mit dem toten Sohn auf dem Schoß, und ist von solch großer und seltener Schönheit, dass keiner sie ansehen kann, der im Herzen nicht von Mitleid bewegt würde. Ein Bildwerk, das jenes Menschentums wahrhaftig würdig ist, wie es dem Sohne Gottes und einer solchen Mutter zukommt, wennschon es etliche gibt, die an dieser Mutter rügen, sie sei im Vergleich mit dem Sohne zu jung. Darüber sprach ich eines Tages mit Michelangelo…“
Neulich wies die Nun-Wieder-Italienisch-Lehrerin auf eine weniger bekannte Pietà von Michelangelo hin, ein unvollendet gebliebenes Spätwerk, das Michelangelo für sein eigenes Grab vorgesehen hatte und an dem er sporadisch etwa ein Jahrzehnt lang ab 1554 bis zu seinem Tod arbeitete, die im Castello Sforzesco in Mailand ausgestellte und fast modern aussehende Pietà Rondanini. Schaut man Bilder im Internet, wirkt es, als würde bei den beiden aufrechten Gestalten Maria aus dem vom Kreuz genommenen Christus emporwachsen, ja, als würde er, der Sohn, die Mutter tragen.
(Michelangelo – Lebensberichte, Briefe, Gedichte; herausgegeben und übersetzt von H.Hinderberger, Manesse-Verlag 1947; in einem Basler Antiquariat erworben im Mai 2016)
Siehe, mein Knecht wird einsichtig handeln. Er wird erhoben und erhöht werden und sehr hoch sein. Viele haben sich über ihn entsetzt, so entstellt sah er aus, nicht mehr wie ein Mensch, seine Gestalt war nicht mehr die eines Menschen. Jetzt aber setzt er viele Völker in Staunen, Könige müssen vor ihm verstummen. Denn sie werden sehen, was ihnen nicht erzählt worden war, und was sie nicht gehört hatten, werden sie wahrnehmen!
Wer hat unserer Kunde geglaubt? An wem ist der Arm des HERRN offenbar geworden? Vor seinen Augen wuchs er auf wie ein junger Spross, wie ein Wurzeltrieb aus dürrem Erdreich. Er hatte keine Gestalt und keine Pracht. Und als wir ihn sahen, da hatte er kein Aussehen, dass wir Gefallen an ihm gefunden hätten. Er war verachtet und von den Menschen verlassen, ein Mann der Schmerzen und mit Leiden vertraut, wie einer, vor dem man das Gesicht verbirgt. Er war verachtet und wir haben ihn nicht geachtet.
Jedoch unsere Leiden – ER hat sie getragen, und unsere Schmerzen – ER hat sie auf sich geladen.
(Jesaja 52,13-15 und 53, 1-4a – sog. Viertes Lied vom Gottesknecht; nach der Elberfelder und der Einheits-Übersetzung)
Ich erinnere nicht mehr das genaue Datum, aber ich erinnere, dass ich ungefähr neunzehn Jahre alt war, als ich meine Knie auf die erste der 28 Stufen der Scala Sancta beugte. Die Scala Sancta liegt gegenüber von San Giovanni in Laterano, der Hauskirche der Bischöfe von Rom, in der traditionell am Gründonnerstag der Papst und Bischof von Rom die Fußwaschung durchführt, ein Ritus, der zurückgeht auf das im 13.Kapitel des Johannesevangeliums beschriebene Geschehen: während des letzten Abendmahles am Vorabend seines Kreuzestodes wäscht Jesus seinen Jüngern die Füße. (In der Antike, im Orient war die Fußwaschung ein gängiges Ritual und Zeichen der Gastfreundschaft, siehe auch 1.Mose 18,4; Papst Franziskus verlegte den Ritus gerne aus der Lateranbasilika in Gefängnisse).
Die Legende erzählt, dass der Kreuzweg Jesu auf den Marmorstufen der Scala Sancta begann, sollen es doch die Stufen des Aufstiegs zum Praetorium gewesen sein, dem Palast des römischen Statthalters in Jerusalem, also des Pontius Pilatus. Seit dem 4. Jahrhundert befindet sich die Treppe schon in Rom, denn Helena, die Mutter des Kaisers Konstantin, soll sie im Jahr 325 nach Christus in Jerusalem bei Grabungen gefunden und nach Rom gebracht haben. Seit dem 18.Jahrhundert schützt eine Holzverkleidung die Stufen, denn als Folge der herausragenden Bedeutung für Pilger waren die Marmorstufen bereits bis zu 15 cm tief abgewetzt.
Ich wollte dem Gründonnerstagsgeschehen nahe sein. Es war nicht wichtig, ob es nun wirklich die Stufen hinauf zum Palast des Pontius Pilatus waren, die Geschichte der Treppe aber schuf eine Verbindung. Auf Knien und im Nachdenken über das Geschehen am Vorabend des Kreuzestodes Jesu nahm ich die 28 Stufen der Scala Sancta hinauf.