
Elegie in Weiß
fügt sich in üppiges Grün.
Schreibt ein Frühlingsfest.
Elegie in Weiß
fügt sich in üppiges Grün.
Schreibt ein Frühlingsfest.
Habe ich schon erzählt, dass mich der Kopf des Propheten Joel, wie ihn Michelangelo an die Decke der Sixtinischen Kapelle gemalt hat, immer an den Kopf meines Großvaters (eines Methodistenpredigers) erinnert? Auch deswegen steht das alte Buch über „Zwölf heilige Menschen Gottes“ nicht nur über den Buchrücken erkennbar zwischen anderen Büchern, sondern frontal vor diesen, so dass ich den darauf schwarz-weiß wiedergegebenen Kopf immer sehen kann. Als ich es gestern öffne, stoße ich auf die meinem Vater geltende Widmung eines mir unbekannten Menschen, die mich überrascht: einen ersten Preis im Erzählerwettbewerb hat der noch Jugendliche bei einem (wohl kirchlichen) Jugendtreffen gewonnen. Hat er da seinen späteren Schwiegervater, den Methodistenprediger, einen Mann auch der Schrift und des Wortes, bereits gekannt?
Michelangelo (1475-1564) malte die ganze Figur des Propheten Joel, aufmerksam und nachdenklich eine Schriftrolle studierend. Gegenüber blickt die jugendliche delphische Sybille (deren gerahmtes Kopf- Abbild ich auch aus dem Elternhaus mitnahm) gedankenvoll über ihren entrollten Papyrus hinweg in die Ferne.
Scharf geschnitzte Persönlichkeiten seien die Propheten gewesen, welche die Einsamkeit ihrer Führerschaft oft herb zu fühlen bekamen in ihrem manchmal freudigen, manchmal schweren Amt, heißt es in dem schmalen alten Büchlein. Und dass sie keine Wahl hatten: „Sie müssen den Ruf annehmen.“
Den Ruf einer Führerschaft angenommen hat gestern auch der 1955 geborene Augustiner Robert Francis Prevost. Ein Möwenküken spazierte mit seinen Eltern um den Schornstein der Sistina genau in dem Moment, als der weiße Rauch sich auf den Weg machte, und wie eine Gloriole umgab Sonnenlicht die Kuppel zum Zeitpunkt, als der noch unbekannte Pontifex sich durch den Raum der Tränen aufmachte zur Benediktionsloggia des Petersdomes. Dort zitierte er den Kirchenvater Augustinus von Hippo (354-430) : „Für euch bin ich Bischof, mit euch bin ich Christ“.
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Sixtinische_Kapelle
(Johann Wolfgang von Goethe: „Ohne die Sixtinische Kapelle gesehen zu haben, kann man sich keinen anschauenden Begriff machen, was ein Mensch vermag.“)
(Buch: Ferdinand Sigg „Zwölf heilige Menschen Gottes. Zum Studium der zwölf kleinen Propheten. Gotthelf-Verlag Zürich, 2.Aufl.1944)
Seinen „Dichter der Angst“ hat Manfred Koch mitgebracht nach Basel, gesamt 560 (dem Lektor und Verlag zum Teil abgetrotzte) Seiten umfasst die Rilke-Biographie, die in 12 Kapiteln ein Panorama auf den „Trostdichter der Deutschen“ öffnet mit Gewichtung einzelner Kapitel auf das „Leben im Werk“, anderer auf das „Werk im Leben“. Die Kapitel tragen beredte Namen wie Großstadttod, Mutterfieber, Gottbauen, Kindheitsschrecken, Engelssturm, Herzgebirge, Schweizklang.
Wie im Buch (dessen Lektüre mir noch bevorsteht) erzählt Manfred Koch (geb.1955 in Stuttgart, bis 2021 Dozent deutscher Literaturgeschichte an den Universitäten Gießen, Tübingen und Basel) auch im Literaturhaus Basel locker, detail- und kenntnisreich über „seinen“ Rilke, zu dem er in jungen Jahren allerdings erst bekehrt werden musste. Gelungen ist diese Bekehrung Kochs damaliger Freundin und seit langem Ehefrau, der Schriftstellerin Angelika Overath, mit der Empfehlung, Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge zu lesen, wie Koch selbst im Vorwort schreibt. So nimmt es nicht wunder, dass dieser Rilke-Roman, der ein „Angst-Buch“ sei, einen zentralen Platz in Kochs Rilke-Biographie einnimmt, die zum Jahr des 150.Geburtstages des Dichters (4.Dezember 1875) erschienen ist, nach drei Jahren Arbeit daran.
In der Kürze des Abends können vielfältige interessante Einzelheiten nur schlaglichtartig beleuchtet werden, zum Beispiel der Gedanke, dass zwei große Angstdichter (die sich nur einmal persönlich begegneten bei einer Lesung in München) aus Prag stammen (Kafka und Rilke), die Tatsache, dass Rilke 1905 Insel-Autor wurde und der Verleger Anton Kippenberg über lange Jahre treu seinem Autor verbunden war (und ihm auch unter schwierigen Umständen Geld in die Schweiz transferierte), die faszinierende Klanglichkeit von Rilkes Sprache (Koch zitiert dazu aus einem 1924 entstandenen Briefgedicht Rilkes an eine junge Wienerin: „das Tödliche hat immer mitgedichtet, nur darum war der Sang so unerhört“), die speziellen Bedürfnisse Rilkes an den geeigneten Schreib- „Raum“, den „Zweikampf“ Rilkes mit der Stadt Paris, der Wunsch, Kunst aus dem absichtslosen Arbeiten der Hände entstehen zu lassen (siehe auch Rodin-Essay), das im Jardin des Plantes eingeübte intensive Schauen ohne Absichten.
Rilkes Lesung in Basel im Jahr 1919 vor hunderten Menschen kommt auch zur Sprache, sie fand im Musiksaal des Stadt-Casinos statt, wie eine Quelle mir aufschließt, Rilke hatte sich für diese Lesungen vor großer Zuhörerschaft eine durchdachte Strategie angeeignet und so sei es ihm auch hier gelungen, „den Saal mit seiner warmen Baritonstimme zu durchdringen“. Welche Orte in und um Basel für Rilke in den Jahren 1919 und 1920 noch bedeutsam sind (u.a. das Hotel Trois Rois), wird im September 2025 ein Leseabend und Spaziergang aufgreifen, konzipiert und durchgeführt von Martina Kuoni, die auch den gestrigen Abend im Literaturhaus moderierte.
(Buchempfehlung: Manfred Koch: Rilke. Dichter der Angst. Eine Biographie, Verlag C.H.Beck, München 2025)
(Artikel: Rilke und Basel, Der Dichter auf dem Schönenberg – Freunde – Auswirkungen. E-Periodica ETH Bibliothek Zürich 2022. Baselbieter Heimatblätter Band 70, 2005)
(„hoffentlich bald wieder in Sent!“ hat Manfred Koch mir beim Signieren ins Buch geschrieben – die Hoffnung, einmal wieder bei einem Kurs der Schreibschule von Angelika Overath und Manfred Koch dabeizusein, teile ich)
Ob Mozart bei seinem Mannheim-Aufenthalt schon ahnt, dass er sich – etwa 10 Jahre später- nämlich im September 1787 zusammen mit seiner am 5.Januar 1762 in Zell im Wiesental geborenen Frau Constanze Weber nach Prag aufmachen wird, um dort im Zusammenwirken mit den Aufführenden (und dem Librettisten) die Oper Don Giovanni zu vollenden? Wohl kaum.
Das Schild an der dem Schloss nahen Jesuitenkirche verrät weder mir noch dem begleitenden Nachkommen (der immerhin mit Wolfgang Amadeus ein gewisses Datum teilt), wann genau der Zeitraum war, in dem Mozart die Gottesdienste der Kirche besuchte, und es verrät auch nicht, dass Mozart die Familie Weber 1777 in Mannheim kennenlernte (sich dabei aber nicht in Constanze, sondern in deren ältere Schwester Aloisia, eine Sopranistin, verliebte).
Das Café Prag sehen wir leider nur von außen (behalten uns aber nach Lektüre über Geschichte und Ausstattung einen späteren Besuch dort vor) und auch am Barockschloss, einer der größten Residenzen Europas, defilieren wir nur vorbei, versäumen dabei aber nicht, dem Kurfürsten Carl Theodor (1724-1799) einen Gruß zu entbieten, nachdem wir ihm bereits zuvor in seiner Schwetzinger Residenz eine Aufwartung machten und in seinem von Anfang an auch für das Volk geöffneten Schwetzinger Schlossgarten lustwandelten (der private Rückzugsort für ihn und seine Gäste war das durch Hecken abgeschirmte Badhaus).
Was Carl Theodor alles auf den Weg brachte, können wir hier nicht aufzählen, zum Beispiel ging aus der 1773 von Carl Theodor gegründeten kurfürstlich-pfälzischen Academie der Maler, Bildhauer- und Baukunst die heutige Kunstakademie Düsseldorf hervor und auch die klassizistische Stadterweiterung Düsseldorfs (Carlstadt) geht auf ihn zurück (Schloss Benrath, Schloss Jägerhof, Umbau Düsseldorfer Schloss, Erweiterung Düsseldorfer Hofgarten). Und wenn wir in Heidelberg über das Pflaster der Alten Brücke gehen und nach rechts und links auf den Lauf des Neckars schauen, denken wir daran, dass sie den offiziellen Namen Karl-Theodor-Brücke trägt und als insgesamt neunte Brücke an dieser Stelle unter Carl Theodor aus regionalem roten Sandstein erbaut wurde.
Eigentlich wollen wir ja Mozart in Mannheim begleiten: er spielt dort jedenfalls schon als Siebenjähriger für eben diesen Kurfürsten Carl Theodor und kommt immer einmal wieder nach Mannheim zurück, seine Aufenthalte dort summieren sich auf gesamt 176 Tage. Im Jahr 1777 schreibt er aus Mannheim nicht nur an seinen Vater, sondern auch (wegen ihrer speziellen „Machart“ bekannt gewordene) Briefe an sein „Allerliebstes bäsle häsle“, auch „Ma très chère Cousine“ genannt, bevor der Vater Anfang 1778 die Weiterreise nach Paris befiehlt.
(Das Reclam-Opernlibretto-Heft Don Giovanni, Reclam-V. Stuttgart 1954 habe ich mit weiteren dieser Art vor vielen Jahren einmal bei der Büchertauschbörse der Stadtbibliothek mitgenommen, in der Einleitung schreibt Wilhelm Zentner zur Entstehungsgeschichte der Oper, zu Schwierigkeiten der Aufführung in Wien wegen spezieller Sängerwünsche etc. und dazu, warum Mozart und da Ponte die Hauptpersonen des Dramas noch einmal in der Schluss-Szene auf der Bühne vereinigt sehen wollten „der Zuschauer sollte die Fäden ihres künftigen Geschicks entwirrt sehen und mit einem Gefühl der Versöhnung, wie es der Titel `heiteres Drama´ verhieß, nach Hause gehen“)
(Lux perpetua – ein vielfältig kulturelles Requiem über Ewigkeit nach Mozarts Requiem KV 626 von Maximilian Guth wird der Motettenchor Lörrach zusammen mit dem Asambura-Ensemble im Rahmen des Stimmenfestivals am 29.Juni 2025 im Burghof Lörrach zur Aufführung bringen)
(Buch: Wolfgang Amadeus schreibt an Maria Anna Thekla Mozart … und der nähmliche narr bleibe ich. Hrsg. Von Reinhard Ermen, mit Bildern von Michael Mathias Prechtl und einem Essay von Hanns-Josef Ortheil; Büchergilde Gutenberg, Frankfurt a.M. und Wien, 2.Aufl.1991)
Im Herrnhuter Losungsbüchlein ist für die heutige Bibellese der Psalm 23 angegeben, ein Psalm von David. Ich zitiere Vers 1 bis 3a nach der Elberfelder Übersetzung:
Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.
Er lagert mich auf grünen Auen, er führt mich zu stillen Wassern.
Er erquickt meine Seele.
(Foto: Im Schlosspark Schwetzingen am 3.Mai)
überschreibt Peter Peter ein Kapitel in seinem Buch Blutorangen – Eine Reise zu den Zitrusfrüchten Italiens, das mir C.E.F. einmal schenkte (dann und wann erhalte ich ja schöne Geschenke). Das Kapitel kümmert sich um ein sehr bekanntes Goethe-Gedicht und die von ihm inspirierten Vertonungen.
Und was mache ich, wenn mich wie neulich nach den Farben und Aromen Italiens verlangt? Richtig – ich schaue, was ich kochen kann und kreiere ein einfaches Gericht: Spaghetti (Grano duro, aus der Bronzeform) mit grünem Spargel, Kirschtomaten, Kapern und Gremolata. Einen Zesteur (Zestenreißer) für die Gewinnung der Zitronen-Zesten habe ich nicht, es funktioniert auch mit der feinen Reibe (unbehandelte Bio-Zitrone, Abrieb streng von der Schale). Sonst benötigt man für die Gremolata nur noch glatte Petersilie und frischen Knoblauch, beides kleingehackt, eventuell etwas Olivenöl. Die al dente- gekochten Spaghetti gibt man in die Pfanne, in der man zuvor die Spargelstücke in Olivenöl angebraten hat (evtl. kann man sie zuvor kurz in Gemüsebrühe blanchieren), dort hat man auch die halbierten Kirschtomaten und einen Esslöffel voll Kapern hineingerührt, mit Salz und Pfeffer abgeschmeckt, mit ein wenig des Nudelwassers abgelöscht und alles gut untereinandergehoben. Die Gremolata ist ganz zum Schluss die Krönung .
(Peter Peter: Blutorangen. Eine Reise zu den Zitrusfrüchten Italiens. Wagenbach-V. Berlin 2024)
Bereits vor Längerem wurde im Italienisch-Konversationskurs für den 30.April der Rundgang durch Basel geplant – und wie es sich gehört, ist das Wetter einfach perfetto. Auf der Hinfahrt bewahrt der Uferwald der Langen Erlen noch ein wenig die Nachtfrische, die Dreiland-Rückfahrt entlang des Rheins gerät schon sommerlich und dazwischen folgen wir einem „Spielerischen Spaziergang für Kinder“ durch „die verzauberte Stadt“ – und wie es sich gehört, folgen wir natürlich nicht auf Deutsch dem Buch, sondern auf Italienisch der Übersetzung, die Beflissene früher einmal gefertigt haben. Übersetzen müssen auch wir, nämlich mit dem traghetto, das zwar beim Besteigen schaukelt, dann aber bei Niedrigwasser und ruhiger Strömung sehr gemächlich über den Fluss gezogen wird, so dass wir recht lange die Nähe zum Rheinwasser genießen. Zuvor haben wir schon einige Stationen gesucht und gefunden, vor allem tierreich geht es zu, später ist aber auch einmal ein Römer dabei, es gilt, seine rote Hose unter dem kurzen Rock zu entdecken. Ich entdecke tatsächlich auch mir Neues, ich wusste zuvor nicht, dass es sich bei dem Römer um den Feldherrn Lucius Munatius Plancus (87 v.Chr.-15 v.Chr.) handelt, der auch als Stadtgründer von Basel gilt. Und vom Flüsterbogen an einer seitlichen Tür der Münsterfront hatte ich bislang ebenfalls keine Kenntnis, wir machen die Probe und üben sussurrare (welch geniales Wort!) auf der einen und sentire auf der anderen Seite, und siehe oder höre da, es klappt hervorragend. Das Versteck des Sandstein-Hündchens am Fuß der Kanzel bleibt uns genauso wenig verborgen wie das leicht befremdliche Aussehen der beiden Sandstein-Elefanten, die Säulen eines Fensters tragen. Da wusste der Schöpfer des Elefanten am gelben Haus, Carl Gutknecht, im Jahr 1915 bereits besser Bescheid über die Elefanten-Gestalt, er hatte aber auch eine gute Vorlage, den ersten Elefanten des Zoologischen Garten Basels nämlich, wobei es sich –genauer gesagt – um eine Elefantendame handelte, die den schönen Namen Miss Kumbuk trug. Noch mehr Tiere warten in den hügeligen Gässchen dieser Ecke, ja, da ist der Falke und dort der goldene Löwe, der – wie kann es anders sein – das Haus zum Venedig nicht nur ziert, sondern auch kenntlich macht, denn, da es in früheren Zeiten keine Hausnummern gab, erhielten die Häuser Eigennamen, und da etliche Menschen des Lesens und Schreibens unkundig waren, wurden die Eigennamen auch in Form von Gemälden oder Reliefs auf den Häusern platziert. Den goldenen Löwen und sein Haus zum Venedig kannte ich immerhin schon und wusste auch, dass ein Kaufmann mit Geschäftsbeziehungen zu Venedig im Jahr 1470 den geflügelten Markuslöwen an sein Haus anbringen ließ.
Und das Ende der Geschichte? Wer hilft denn nun den Kindern im Buch und uns alten corsisti unterwegs, das Ziel zu finden, das besondere Basel-Tier, das die Stadt entzaubert, so dass Helvetia weiterreisen kann? Ist das etwa wirklich der Lällekönig, das gekrönte Haupt, das allen Ankömmlingen die Zunge (baseldytsch „Lälli“) herausstreckt? Hm?
Die Ausstellung Nordlichter in der Fondation Beyeler habe ich vor Kurzem zum zweiten Mal besucht. Sie widmet sich der zwischen den 1880er und 1930er Jahren in der sogenannten borealen Zone entstandenen Landschaftsmalerei, außer dem bekannten norwegischen Maler Edvard Munch sind viele Künstler und Künstlerinnen aus Skandinavien und Kanada vertreten, deren Namen außerhalb ihrer Herkunftsländer kaum im Gespräch sind. Das zentrale verbindende Motiv ist der Wald, dessen Korrespondenz und Interaktion mit dem nördlichen Licht und mit den weiteren Elementen der Landschaft und des Himmels wie Wasser, Felsen, Schnee, Wolken. Dabei taucht man ein in helle oder dunkle Stimmungen, man steht mit Weitblick oder mitten in undurchdringlichem Wald, ohne dass man durch Schilder neben den Gemälden gestört wird. Wer will, findet Titel, Namen und Daten zum jeweiligen Werk auf dem hölzernen Fußboden. Wikipedia sagt mir, dass der griechische Gott des Nordwindes Boréas Namensgeber des Oberbegriffs für die Wälder der kaltgemäßigten Klimazone ist, mir war der boreale Nadelwald bisher eher unter dem Begriff Taiga geläufig.
Zwar sind mein begleitender Nachkomme und erst recht ich dem Mitmachheft-Alter längst entwachsen, das Heft nehme ich dennoch mit, weil es so schön einlädt zum Rundgang mit „alles, was Du brauchst, ist dieses Mitmachheft und einen Bleistift“ und dabei die Erfahrung von spannenden Geschichten verspricht. Mit „Erzähl doch mal!“ regt Seite 6 an, eine kleine Geschichte zu den Bildern von Edvard Munch zu erfinden, Seite 7 möchte mit „Adlerauge“ den Blick auf Details schärfen und Seite 9 fragt „Wie hört sich ein Wald für Dich an und wie riecht es auf einem Berg?“
Im Museumsshop begeistern wir uns dann noch für „eines der leisesten und schönsten Bücher des Jahres“: das mit wundervollen Illustrationen von Lucille Clerc versehene „In 80 Bäumen um die Welt“ von Jonathan Drori (aus dem Englischen von Bettina Eschenhagen & Ulrich Korn, Laurence King-Verlag, 2.Aufl.2022). Darin findet sich zum Beispiel die Dahurische Lärche aus Sibirien, der asiatische Wildapfel aus Kasachstan, die Yoshino-Kirsche aus Japan, die Schwarz-Erle aus Italien, die Papier-Maulbeere aus Tonga, der gewöhnliche Zucker-Ahorn aus Kanada, der Granatapfel aus dem Iran, die Flötenakazie aus Kenia, die echte Quitte aus Kreta, der Olivenbaum aus Israel, der Baum der Reisenden aus Madagaskar (und jetzt muss ich aufhören, sonst zähle ich tatsächlich noch alle 80 auf).
(Die Ausstellung Nordlichter ist in der Fondation Beyeler, CH-Riehen, noch zu sehen bis zum 25.Mai 2025)
Am 4.August 2024, einem heißen Tag, lief ich nicht nur an Bauzäunen, der Piazza Venezia, der „Schreibmaschine“ (Monumento Vittorio Emanuele II), den Kaiserforen, dem Kolosseum, an Kloster- und Kirchenkomplexen entlang, sondern auch an Souvenirlädchen vorbei. „Roma si trasforma“ war in großen Lettern auf die Bauzäune gepinnt – aber lächelte nicht auf dem bereits für 2025 zu erwerbenden Calendario Romano genau derselbe junge Priesteranwärter wie damals auf dem Kalender für 1978?
Am Mittwoch, den 16.November 1977 schrieb ich : „ Gestern Mittag habe ich übrigens noch gesehen, wie die Priester im Haus gegenüber auf ihrer Dachterrasse Rollbrett fahren! Zuerst glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen, es war aber auch wirklich ein köstliches Bild: wie sie in ihren langen schwarzen Kutten hoch über Rom ungeschickt ihre Balance halten, einander stützend!“ (das Collegio gegenüber der heutigen Casa Valdese gibt es noch, Rollbrett-fahrende Priester habe ich aber nicht mehr entdeckt)
Am Donnerstag, den 3.November 1977 schrieb ich über Szenen auf dem Petersplatz: „Freudejauchzend springen Kinder auf den Pflastersteinen und spielen mit den Tauben; ein Pater lächelt liebevoll ob der Unbefangenheit der Kleinen. … Nach Dienstschluss gehe ich mit E. , S. und dem Hund Luchs noch einmal zum Petersplatz, damit ich sehe, wo die Vatikanpost sich befindet. Eine Weile sitzen wir auf dem schönen Stein, links erhebt sich mächtig die Fassade des Petersdomes, gegenüber die andere Säulenhalle, gekrönt mit den Statuen vieler Heiliger. Darüber erhebt sich in den nachtdunklen Himmel der Häuserhügel des Vatikans, dessen warmscheinende Fenster uns wie Augen anblicken.- Lustig, wenn man sagen kann, sieh, der Papst hat Licht! Ich kenne nun das Fenster, aus dem er jeden Sonntag um 12 Uhr auf den Platz hinausblickt. Der Springbrunnen auf dem Platz ist um diese Zeit zum Lichtbrunnen geworden: er scheint wässriges Licht zu versprühen.“
Am Samstag, den 26.April 2025 fragt mich eine Freundin, ob ich „in Rom dabei“ bin. Natürlich bin ich in Rom dabei! Die ganze Zeit. Wechsle aber zu Vatican Media Live deutsch, da sind die Bilder und die kommentierende Begleitung ruhiger.
Am Dienstag, den 4.März 2025 sah ich im Kino den auf dem gleichnamigen Roman von Robert Harris basierenden Film „Konklave“ von Edward Berger, in dem u.a. Ralph Fiennes, Stanley Tucci und John Lithgow Kardinäle spielen und Isabella Rossellini eine Ordensschwester.
Und als ich heute „Meine Reise nach Rom“ von Émile Zola in die Hand nehme, liegt das gelbe Lesebändchen zwischen den Seiten des 8. und 9.November 1894 und an diesem 9.November schreibt Zola gerade über die Kardinäle.
(Buchempfehlung: Émile Zola „Meine Reise nach Rom“, Handbibliothek Dieterich, DVB Mainz 2014)