The Month of Maying

Das besondere Wort Maying! Ein Konzertplakat erinnerte mich daran.

Feiern wir also den Mai! Oder lassen wir den Mai sich selbst feiern! Er kann das gut! Wahre Grünorgien sind es, die ihm gelingen und er lädt alle ein:

Die Gräser tanzen im Rhythmus des Windes, die Blätter der Bäume säuseln ein beschwingtes Lied, die Reben reihen sich ein und schicken ihre jungen Triebe, der Efeu lässt nicht locker und nimmt mit frischer Schminke teil, Büsche und Hecken hält es kaum auf ihren Plätzen, der ganze Hügel schwingt sich zur Grünfeier ein und auch die nahen Wälder geben ihre Hemmungen auf, lassen ihr lichtes Grün leuchten und reichen es den Bachläufen weiter, auf dass das Maying überströme!

Angelehnte

Ich sehe sie sofort, als ich den Raum betrete.

Sie ist einzig, obwohl Viele um sie sind.

Sie holt zu einem weiten freien Bogen aus, bevor ihre Fühler den Raumteiler spüren. Vorsichtig tastet sie nach dessen Gestalt: ja, da ist die lange Seite, dort die kurze, melden die Fühler zurück in den schlanken Körper der Angelehnten.

Warum aber „sie“? Hat sie zwingend den weiblichen Artikel? Kann es nicht auch „der“ Angelehnte sein? Und: „Angelehnte“ funktionieren auch im Plural, männlich, weiblich oder sonst wie.

So stehen sie hier auch, im Plural, im Depositum in Weyerbusch.

Sie aber ist eine Einzige für mich. Sie ist zart und stark zugleich. Ihr Fuß steht fest auf dem Boden, mit dem er sprechend Kontakt aufnimmt wie der Fuß eines Elefanten. Ihr schlanker Leib wächst biegsam in die Höhe, dem Licht entgegen, das ihr aus Dachfenstern entgegenflutet. Sie will hinauf, sie ist gebogen, aber eine Unbeugsame.

Ihre Farbe hat sie dem Licht angepasst, das sie liebt. Das Weiß verleiht ihr Leichtigkeit.

Sie hat Kerben und Schnitte, aufgesprungene Haut, Schrunden. Aber die Stellen schließen sich, bleiben keine tiefen Verletzungen. Je höher sie kommt, desto feiner und dichter sind die Linien der Einschnitte, sie sind gereiht wie in den zarten Fahnen einer Feder.

Dann spürt die Angelehnte einen Widerstand im Raum, sie teilt sich und tastet nach dessen Gestalt. Sie öffnet sich, wächst dem Widerstand entgegen, vorsichtig, bedacht. Sie fühlt seine Kanten, ermisst seinen Umfang, berührt ihn nur sacht.

Wird er sie halten? Oder sie ihn?

(Text aus Juni 2024)

https://www.im-tal.de/zum-tal/kunst-als-gegenteil

(Im abgebildeten Buch, das ich im Februar 2024 in Weyerbusch erworben habe, findet sich ein Beitrag von Huberta von La Chevallerie zu Erwin Wortelkamps „Angelehnten“: Anstiftung zum Dialog; Bd.5 der Reihe hier und dort, Salon-Verlag Köln; ISBN 978-3-89770-430-5)

Vierter Sonntag nach Ostern – Cantate

Das Singen endet nicht mit dem ESC-Finale, sondern setzt sich mit dem Sonntag Cantate fort:

Singt dem HERRN ein neues Lied, denn er hat Wunder getan! Jauchzt dem HERRN alle Welt! Seid fröhlich und jauchzt und spielt! Singt dem HERRN zur Zither, mit der Zither und der Stimme des Gesangs! Mit Trompeten und dem Schall des Horns jauchzt vor dem König, dem HERRN! Es brause das Meer und seine Fülle, die Welt und die darauf wohnen! Die Ströme sollen in die Hände klatschen, alle Berge zusammen sollen jubeln vor dem HERRN!

(Psalm 98,1a u. 4-9a nach der Elberfelder Übersetzung)

(Und übrigens: ich freue mich, dass der 24-jährige österreichische Countertenor Johannes Pietsch -JJ- mit der Ballade „Wasted Love“ den ESC 2025 gewonnen hat)

„United by Music“

ist das Motto des Eurovision Song Contest und ganz Basel, nein das ganze Dreiland ist im ESC-Fieber. Da wurde sogar unser aller Nicole reaktiviert, aber auch Selbstsingen ist erwünscht, dafür hat man Mini-Bühnen „Right Here – Rhine Now“ aufgebaut.

Morgens sind die Messehallen des Song Contest Village noch geschlossen, das pinke Leuchtband mit Welcome Home läuft aber, langsam trudeln die Security-Leute ein, erste Songcontest-Touris in Netzstrümpfen und Miniröckchen suchen eine saftige Frühstückserfrischung, ein kleines Mädchen in rosafarbener Flauschjacke bestaunt die pinkfarbenen Wellen der „Lightning Symphony“ von Claudia Comte, während sein Vater mit dem leeren Kinderwagen halt macht und die Verbotstafel studiert.

Mittags schwirren Sprachfetzen aus ganz Europa und von weiter her durch die Gassen, eine schlanke Mutter schlendert im silbernen Glitzerkleid-Partnerlook mit dem Töchterchen über die Mittlere Brücke und die besonnten Stufen am Rhein füllen sich langsam mit Menschen, als würde man einen nach dem anderen in ein Steckspiel stecken.

Abends sehe ich von fern die Illumination des St.Jakobs-Stadions.

Der alte Kalender

Der alte Kalender zeigte den richtigen Monat an, jedenfalls glaubte die Frau das. Es waren nur die Tage, die falsch waren. Das machte nichts, denn die Frau sah gerne immer wieder dieselben Bilder, im Februar Venedig, im März Rom, Florenz im April, Ravello im Mai, und so fort. Das beruhigte die Frau, wenn Jahr für Jahr die Bilder wiederkehrten, sie taten das seit zwölf Jahren. Die Engelsburg im Januar, ein einzelner Laternenpfahl vor einem Kanal im Februar, im März Brunnenfiguren vor der hohen Fassade von Sant’Agnese in Agone, im April ein steinernes Mädchengesicht an einer Hausecke, umrankt von Obstgirlanden, über ihr ein Widderkopf, unter ihr ein Fußpaar, das ihr nicht gehört. Die Bilder waren schwarzweiß und die Frau konnte sich in ihre Perspektiven und Schattierungen verlieren. Seit einiger Zeit aber hatte sie das Gefühl, dass die Jahre im Januar hängen blieben, zwar ging draußen die Welt weiter, aber drinnen hingen die Januare und bewegten sich nicht von der Stelle. Das schien der Frau seltsam. Denn irgendwann zeigte der alte Kalender wieder August (weiß eingedeckte Tische in einer toskanischen Laube), plötzlich auch Dezember (mit dem feuchten Pflaster des Markusplatzes) und dann kam draußen der nächste Januar und die Frau wusste gar nicht, wie er da hingekommen war, denn in ihr drin hing noch immer der vom letzten Jahr. Da erinnerte sich die Frau, einmal vom Gedanken gelesen zu haben, die Zeit sei geformt wie eine Kugel. Das hatte ihr gefallen. Oder war es etwa die Ewigkeit gewesen mit der Form einer Kugel? Egal, das machte ja dann nichts.

Erst zeichnen, dann schreiben

(Aufgabe vom 12.April 2025, Schreibschule Sent)

Ein Gesicht soll ich zeichnen mit geschlossenen Augen, mein Gesicht. Eine doppelte Herausforderung. Sogar eine dreifache, denn ich soll zeichnen ohne abzusetzen.

Früher habe ich gerne gezeichnet, auch Gesichter, aber nicht meines. Das von Will Quadflieg, das von Joan Baez, das von Lou Andreas- Salomé. Die Gesichter abgezeichnet von Fotografien, die zu mir sprachen. Lou Andreas -Salomé auf einem Insel-Taschenbuch, Will Quadflieg im Band „Wir spielen immer“, Joan Baez auf einem Platten-Cover. Einen Rötelstift in die Hand genommen und versucht. Will und Lou gelangen ganz gut, Joan weniger.  Jetzt habe ich seit langem nicht mehr gezeichnet. Mich selbst fotografiere ich ab und an, auch weil ich sonst selten auf Fotos bin, meist bin ich es, die fotografiert. Ich mache kein Selfie, sondern fotografiere mein Spiegel-Gegenüber. Manchmal fotografiere ich nur mein Gesicht, aber dann ist es ja spiegelverkehrt.

Wie also die Zeichnung anfangen? Ich beginne mit der Brille, die Form kenne ich gut. Dann will ich die Haare andeuten, die das Gesicht rahmen. Wie komme ich von der Brille aus dahin? Ich merke, dass ich krakele. Nun den Bogen des eher rundlichen Gesichts. Der geht, landet aber versetzt zur Brille, wie ich später sehe. Und die Augen? Bekomme ich nicht hin. Ein Nasenrücken gerät zum schrägen Strich, irgendwo. Ein lachender Mund soll es sein oder zumindest lächelnd. Ich zeichne einen Bogen, fast Halbkreis. Als ich die Augen öffne, sehe ich, er ist über dem rechten Brillenglas gelandet, da muss ich lachen.

Hoffnung in verrückten Zeiten

Unter diesem Titel firmierte vor Kurzem der Inspirationstag auf dem Chrischona- Berg. Er brachte nicht nur den äußeren, sondern auch den inneren Blick in die Weite. Impulse gab der Neutestamentler und Liederdichter Prof. Dr. Hans-Joachim Eckstein (geb. 27.01.1950), der -wie er sagte- zwar (im Alter von 15 Jahren) über das Herz zum Glauben kam, aber dann unbedingt den Glauben auch durchdenken wollte.

Eckstein spricht (u.a.) darüber, dass Christen in zwei Geschichten leben, ganz und gar hier in der ablaufenden Geschichte der Welt, gleichzeitig aber auch in einer anlaufenden Geschichte von der Auferstehung her.  Die Hoffnung selbst sei eine Kräfte- freisetzende Wirklichkeit, nicht nur ein bloßer Gedanke, und unbedingt notwendig für eine Entwicklung. „Wer das Schönste noch vor sich hat, der lebt an. Wer das Schönste an die Vergangenheit verloren hat, der gibt das Leben auf.“ Außerdem könne, wer das Schönste noch vor sich hat, jetzt das Schöne genießen. Wer hingegen den Blick nur aufs Verheerende richtet, den verlassen alle Kräfte. Für die Hoffenden laufe die Zeit an, sie führen sozusagen ein Leben im Advent, stehen dabei aber illusionslos in der Welt.

Wie lange er noch über Hoffnung reden wolle, werde er oft gefragt,  die Antwort: solange der Heilige Geist darüber redet (mit köstlichem Humor spinnt Prof. Eckstein solche Sätze fort, das lässt sich besser hörend erleben als schriftlich wiedergeben). Dass ein Einüben in der Hoffnung immer wieder nötig ist und dass es Verbündete der Hoffnung braucht, bezeugt Eckstein offen mit pragmatisch persönlichem Beispiel, was nicht nur ihn über sich selbst, sondern den ganzen Saal mit ihm lachen lässt.

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Hans-Joachim_Eckstein

Die graue Wärmflasche

Die Wärmflasche kam sich vor wie eine Geliebte. Christian nahm sie immer mit ins Bett. Zumindest im Winter und lange ins Frühjahr hinein. Ab Mai meistens wurde es aber doch zu warm, und Christian schlief in den kommenden Monaten allein, ohne die Wärmflasche. Nicht dass die Wärmflasche das bedauerte, sie blieb dann im Kämmerchen und dachte sich ihren Teil. Ob Christian es bedauerte, wusste sie nicht, sie hatte ihn nie gefragt. Hätte sie ihn fragen sollen? Nein, sie wollte ihn ja keinesfalls bedrängen und so blieb sie lieber ungefüllt, aber weiter in ihr Grau gehüllt dort, wo Christian sie hingelegt hatte (nicht ohne ihr noch einmal über das weiche Flies gestrichen zu haben). Da lag sie dann im Dunkeln, neben ihresgleichen, die andere war knallbunt angetan, blieb aber seit langem unbeachtet, führte ein Schattendasein und dämmerte im Kämmerchen vor sich hin.

Ich träume jetzt ein wenig, dachte die graue Wärmflasche, und übersommere, irgendwann ist es wieder kalt genug, dann holt Christian mich eilends hier heraus, öffnet mit rascher Drehbewegung meinen Verschluss, füllt mich mit heißem Wasser und trägt mich beglückt in sein Bett. Ich bleibe bereit.

Dritter Sonntag nach Ostern – Jubilate

Jauchzt Gott, alle Welt!

Psalm 66 ist überschrieben mit „Dem Chorleiter. Ein Lied. Ein Psalm.“ Und der erste Vers ist der Tagesvers für den Sonntag Jubilate.

Als heutige Bibellese ist im Herrnhuter Losungsbüchlein der Psalm 45 angegeben, und ich zitiere den zweiten Vers nach der Elberfelder Übersetzung:

Bewegt ist mein Herz von gutem Wort. Sagen will ich meine Gedichte dem König! Meine Zunge sei (wie) der Griffel eines geschickten Schreibers!

(Und nun auf zum Chorleiter und zur Probenfortsetzung des „vielfältig kulturellen Requiem über Ewigkeit nach Mozarts Requiem KV 626“ mit Textstellen in Latein, Englisch, Arabisch, Hebräisch)