Die Mutter konnte nicht nähen. Und dann tat sie es doch. Sie nähte Strandensembles für die Töchter, von Hand, eine Maschine gab es nicht. Zwei Dreiecktücher waren es, ein großes und ein kleineres. Aus festem weißen Baumwollstoff, auf dem sich maritime Symbole ordentlich reihten, Steuerräder und versetzt dazu Anker, in Blau für die eine Tochter, in Rot für die andere. Beim großen Tuch war die Spitze des Dreiecks umgelegt und durch den Tunnelzug eine weiße Kordel gezogen, mit der das Tuch um den Nacken befestigt wurde, so dass es sich vorne über den Oberkörper ausbreiten konnte bis zu den Hüften. Die beiden Enden der Dreieckbasis wurden nach hinten genommen und über dem unteren Rücken verknotet, Schultern und oberer Rücken waren der Sommerluft ausgesetzt, oft am adriatischen Meer, selten im Schwarzwälder Garten. Die Dreiecktücher waren beliebte Begleiter heißer Tage und als schließlich die Dreieckbasis samt Knoten immer weiter nach oben rutschte, hatte das große Tuch ausgedient, das kleinere aber blieb noch eine ganze Weile als Sonnenschutz und zum luftigen Bändigen der Haare in Gebrauch.
Nicht nur das Meer, auch der Name des Dichters Giovanni Pascoli, der 1855 im Ferienort geboren wurde (gest.1912 in Bologna), fand Einzug in den Ortsnamen, je nachdem, ob man sich landeinwärts oder Richtung Küste orientiert. Die Recherche zu Pascoli ergab, dass gerade im Oktober letzten Jahres eine umfangreiche zweisprachige Ausgabe seiner Gedichte erschien, und der etwa 6-minütige Beitrag des DLF aus dem Januar 2025 hat mir Lust gemacht, das Buch bald zu erwerben.
Und dann wollen wir mal schauen, ob uns ein altes Reisetagebuch aus den 1970er Jahren verrät, was ein italienischer Hotelierfreund auftischte und ob daraus eine neue Speise bereitet werden kann.
Sagt man das bei Frauen? In ein fortgeschrittenes Alter kommen, an Spannkraft und Leistungsfähigkeit verlieren und zunehmend unter körperlichen Einschränkungen zu leiden haben , meint das Lexikon zur Bedeutung der Wendung oder zweitens: über einen längeren Zeitraum in Gebrauch sein, das Ende der Nutzungsdauer erreichen, Anzeichen von Alterung zeigen und an Funktionsfähigkeit verlieren.
Wie dem auch sei, die drei Frauen I sind jedenfalls Ü 60, das sagt man so, das steht Ü -BERALL geschrieben: Ü 30, Ü 50, Ü 60 (gibt es auch U ??? U 20, U 70, U 90 – oder ist das eher U -NTERIRDISCH ?) Auf die Frage, wie man Frauen ab 60 nennt, antwortet die Suchmaschine mit altes Weib, Matrone, (alte) Vettel, (alter) Besen (was uns vermuten lässt, dass die Suchmaschine zumindest schlecht erzogen ist – NB: man vergleiche einmal die Antwort bei Männern ab 60).
Zurück zu unseren drei Frauen I :
Frau I – NGEBORG : groß, sehr schlank, schwarze halblange Haare, bescheiden, genau, arbeits – und genügsam, hat vor Jahrzehnten ihre Liebe geheiratet, keine Kinder. Ihre Liebe wird früh ein Pflegefall, ist dauerhaft an den Rollstuhl gebunden. Frau I bleibt an der Seite des Mannes und versorgt ihn neben 100 Prozent Berufstätigkeit. Bis er stirbt. Andere ihrer Nächsten sterben auch. Sie ist allein. Müde, aber nicht unglücklich. Geht kaum in Urlaub, aber seit je für stille Minuten in Gotteshäuser. Inzwischen in den Ruhestand. Hat eine kleine Wohnung in der Stadt. Läuft mit flottem Schritt durch die Gassen. Sieht erfrischt aus. Hat vor Kurzem jemanden kennengelernt. Gute Gespräche geführt, gemeinsame Unternehmungen gemacht. Die erste längere Ferienreise steht an, mit dem neuen Mann.
Frau I – RENE: immer elegant gekleidet, meist mit Hut, stets perfekt geschminkt, kastanienbraunes Haar, lebendige Augen, munter, lächelt oft, hat reichlich Ideen, auch beruflich als Selbständige, im Verbund mit dem Partner oder allein. Keine Kinder, viele Bekannte. Irgendwann will ihr Rückenmark nicht weiter, erst läuft sie schlecht, dann gar nicht mehr, seit Jahren bewegt sie ihren Rollstuhl schwungvoll durch die Straßen. Frisch verliebt, antwortet sie mit heiterem Lächeln auf das Kompliment zum nochmals getoppten Aussehen.
Frau I – NGALISA : schlank, mittelgroß, selten geschminkt, das dünne Haar kinnlang und mit Naturfarben rötlich getönt, dezenter Schmuck, nach missglückter Ehe seit vielen Jahren allein, keine Kinder, aber einige Geschwister. Sehr musikalisch, spielt Flöte und liebt Tänze aus aller Herren (oder Frauen) Länder, kann beides auch anleiten. Braucht viel reine Luft und deshalb Wald und Bergeshöhen, da schreitet sie kräftig aus. Denkt ausgiebig nach, engagiert sich in der Kirchengemeinde. Pensioniert, etwas vorzeitig, eine Weile rekonvaleszent nach mehreren Operationen, sucht seit langem eine neue Wohnung mit guter Atmosphäre. Plötzlich sucht sie nicht mehr allein, sondern eine Wohnung für Zwei, ein Herr ist in ihr Leben getreten – Ü 60 und U 90 vermutlich.
(zum Gedenktag der Heiligen Chrischona am heutigen 16.Juni)
Die heiligen drei Jungfrauen Kunigunde, Mechtrudis und Wibranda folgen im 4. Jahrhundert n.Chr. der Ursula von Köln auf der Wallfahrt nach Rom, erkranken aber auf dem Reiseabschnitt nach Basel und sterben bei Rapprechtsweier (heute wahrscheinlich Adelhausen) nahe Eichsel (Ortsteil von Rheinfelden), wo sie auch begraben liegen, so erzählt es die Legende. Der Eichsler Umgang (Prozession und Volksfest) hält die drei lebendig.
Die drei Schwestern Chrischona, Margarethe und Odilia bauen jede auf einem von drei Hügeln der Basler Umgebung eine Kirche (St.Chrischona -Bettingen, St.Ottilien – Tüllingen, St.Margarethen -Binningen) und geben sich aus ihren Klausen des Nachts Lebenszeichen mit einer Laterne. Auch hier weiß die Legende, dass die heilige Chrischona eine Gefährtin der Hl. Ursula von Köln war (Legenda aurea) und sich entweder auf der Rückreise von Rom weigerte, das verkündete Martyrium mit Ursula zu erleiden und daher verjagt und zur Einsiedlerin wurde, oder aber erkrankte und die Rückreise bei Basel abbrechen musste oder als einzige Überlebende des Martyriums am Rhein entlang nach Basel floh.
Drei adlige Schwestern aus dem Haus Pfeffingen (Baselland) verlieben sich gemäß der dritten im Dreiländereck tradierten Legende in drei Brüder des feindlichen Hauses Thierstein (Adelsgeschlecht Nordwestschweiz). Das duldet der als Vormund fungierende Bruder der drei Schwestern nicht (da ihm ein Untergang des Hauses Pfeffingen prophezeit wird, für die Schwestern hingegen enthält die Prophezeiung ewige Häuser), er lässt die Thierstein-Brüder enthaupten – die drei Schwestern ziehen sich daraufhin als Einsiedlerinnen zurück, die Kirchen St.Chrischona, St.Ottilien und St.Margarethen sind nach ihnen benannt.
(Die drei Legenden von den drei Jungfrauen werden teilweise miteinander verwoben; in St.Ottilien, Tüllingen findet sich ein Fresko mit der Darstellung von drei Frauen im Sakramentschrein)
(Jacobus de Voragine, 13.Jh.n.Chr. Genua, bezeichnete seine um 1264 verfasste Hagiografie noch nicht als „Legenda aurea“ – der Titel wurde ihr erst später, aber noch zu Lebzeiten des Verfassers, verliehen – sondern als „Bearbeitung von Geschichten von Heiligen“)
(Es gibt weitere, mit anderen geografischen Räumen verknüpfte Drei-Frauen-Legenden und Vorbilder in dreigestaltigen Göttinnen. Auch die Trias der göttlichen Tugenden Glaube, Hoffnung, Liebe nach 1.Kor.13 wurde in Gestalt von drei Frauen dargestellt und in den Heiligenkanon aufgenommen: die drei Jungfrauen Fides, Spes und Caritas – Töchter der Hl. Sophia – erlitten gemäß Überlieferung unter Kaiser Hadrian im 2.Jh.n.Chr. das Martyrium)
Im Herrnhuter Losungsbüchlein ist für die heutige Bibellese der sechsversige Psalm 13 angegeben. Ich zitiere einige Verse nach der Elberfelder Übersetzung:
Bis wann soll ich Sorgen hegen in meiner Seele, Kummer in meinem Herzen bei Tage?…
titelte mein Vater in seiner schönen Schrift zu einem Foto, auf dem der „Fährmann“ Mario einmal wieder Groß und Klein, Alt und Jung auf die Isola S.Giulio brachte. Es gibt auch Titel wie „Die Tafelrunde“, „Beim Cappuccino“, „Deutsch-Italienische Kontaktaufnahme“ und „Lebt wohl, Ihr Gebeine der Heiligen“ oder „Arrivederci“.
Letzteres sage jetzt auch ich, wegen Aufbruchs in den hohen Norden (wo ich vielleicht auch herausfinden kann, wieso ein damals noch junges Familienmitglied „Mücke“ genannt wurde, der Name haftete lang) gibt es hier eine Pause bis zum Sonntag Trinitatis.
Kurzbeiträge unter achfrie58 auf meinem Instagram- Account.
Von italienischen Eigenheiten handeln kleine Texte und selbst die aus der ersten Hauptstadt des Vereinigten Italien und jetzigen Hauptstadt des Piemont stammende Italienisch-Lehrerin kennt nicht immer alle Hintergründe, weiß aber zu allen Themen nicht nur ihre studenti zum Sprechen zu bringen, sondern umgibt die studenti auch mit dem Wohlklang ihres persönlichen Erzählstroms und so landet man zum Beispiel von der Historie des coperto bei Geschichten von Sonntagsausflügen samt Picknick (mitgebrachtes Essen, gekaufter Wein) auf den sacromonti.
Der Betrag für das Gedeck (coperto) ist in Restaurants zu entrichten für die Bereitstellung von Geschirr, Besteck, Gläsern, Tischdecke, von Brot (pane), eventuell auch von Wasser und einem Schälchen Oliven. Der Brauch geht zurück auf das Mittelalter, wie wir alle lernen, als Pilger und Reisende in Straßenlokalen rasteten, dort ihre selbst mitgebrachten Speisen verzehren durften, aber die Gebühr für die gedeckten Tische zu bezahlen hatten. Unser Text (Cos’è il coperto del ristorante e perché si paga) meint, dass der Brauch ja längst überholt sei, das pane e coperto aber geblieben und den wahren Grund dafür wüssten nur die ristoratori italiani, auch wenn natürlich jedem bekannt sei, dass Traditionen in Italien heilig sind.
Keine mir bekannte italienische Tradition hat die zweitälteste bestehende Buchhandlung Deutschlands (gegründet 1596 in Tübingen), deren Filiale nach eigenen Angaben Leidenschaft lebt für Bücher, Lesen, Erzählen und Schwärmen für ernste und nicht ganz so ernste Literatur. Ich rätsele also seit der gestrigen Begegnung mit der laminierten zweisprachigen Bitte über deren kulturhistorische Hintergründe:
Jetzt hatte Christian seine Tasche vergessen. Dabei hing er doch so an ihr. Mindestens genauso wie die Tasche an ihm hing. An ihm herunterhing, ihm zur Seite war, auf Schritt und Tritt. Und das seit vielen Jahren. Eine lederne Treue hielt sie ihm und er wusste sie gerne an seiner Flanke, das gab ihm ein Gefühl von Sicherheit. Er legte den Arm um sie, meist den rechten, und hielt ihr die Schnallen oder sich an denen fest. Wenn er nicht mit zärtlicher Geste die Riemen herauszog und die Tasche öffnete, um ihren Inhalt erst zu betasten, bevor er ihn dem Futteral entnahm. Er kannte den Inhalt gut, ja er liebte ihn (obwohl er zu scheu war, ein solch großes Wort zu benutzen), dennoch bereitete es ihm jedes Mal aufs Neue eine reine und tiefe Freude, wenn er die Gegenstände ergriff und durch seine Hände gleiten ließ, bevor er sie mit raschem Entschluss aus der Tasche nahm. Es handelte sich um ein Notizbuch und mehrere Stifte. Die große Freude trug er nicht nach außen, er lachte nicht lauthals und verzog kaum eine Miene, allenfalls umspielte ein winziges Lächeln seine Lippen, die meist schwiegen. Alle Worte, die die Lippen nicht sagten, flossen in seine Finger, die sich mit dem Stift dergestalt zu einer bewegten Einheit verbanden, dass Christian später die Worte wiederfand auf dem Papier des Notizbuchs. Das war gut und auch schön, so waren die Worte draußen und blieben doch drinnen und in seinem Besitz und Christian konnte sie anschauen, wann immer er wollte und das Notizbuch öffnete. Die Worte waren seine Gesellen und ihm war wohl in ihrer Gesellschaft. Und nun hatte er die Tasche stehen lassen und mit ihr die Stifte und die Wortgesellschaft im Notizbuch! Das war ihm noch nie passiert. Das kam davon, wenn man sich an Orten aufhielt, wo man sich nicht auskannte! Wenn man die Tasche ablegte anstatt sie bei sich zu lassen, an der Flanke, wo sie hingehörte, wo sie sich so gut einschmiegte, als sei sie festgewachsen, eine zweite Haut. Christian war verstört. Die Leere an seiner Seite war furchtbar und die Fülle in seinem Kopf kaum auszuhalten. Wo nur hatte er die Tasche gelassen? Er versuchte, das Knäuel im Kopf zu entflechten, aber das war schwer ohne Stifte und Notizbuch und es gelang ihm nur zähflüssig und unter großen Mühen.
An einen Gitterkäfig hatte er die Tasche gelehnt, endlich erinnerte er sich, auf eine halbhohe Holzbarrikade, und über der Tasche schwamm ein türkisgrüner Fisch, der sein Metallmaul geöffnet hielt, er war wohl dem Schleppnetz entschlüpft, das schlaff auf dem Käfig unter dem erschrockenen Fisch vor sich hindümpelte. Christian hatte den Fisch gut verstanden, auch er hatte sich nämlich zuerst ein wenig erschrocken an diesem Ort, an dem er zuvor noch nie war. Aber dann hatte er gesehen, dass die Kacheln an den Wänden warmes Terrakotta trugen, das weckte in Christian eine alte Erinnerung und die leise Ahnung, dass sich an dem Ort viele Worte einfinden würden, deren Gesellschaft ihm angenehm war, mit denen er vielleicht sogar einmal anstoßen könnte an einem der kleinen Tische, die da voller Erwartung herumstanden. Was hatte er da gerade gedacht? Wie war er denn darauf gekommen? Das hatte er doch noch nie… ihm war ein wenig schwindelig. Noch ganz in Gedanken befangen, legte er die Ledertasche ab, lehnte sie an den Gitterkäfig auf die Barrikade und vergaß sie zu öffnen, denn sein Blick fiel auf einen silberglänzenden Shaker, der ein wenig schräg auf dem Podest einer kleinen Bronzestatue stand und in dem Christian nun auch Worte vermutete, Worte, die geschüttelt werden wollten, nicht gerührt, leise Worte und laute, dicke und dünne, vermisste Worte und solche, die er noch gar nicht kannte. Ein wunderbares Gemisch, eine kühle Flüssigkeit, ein Wortcocktail, der ihn beleben und erfrischen würde, Christian vergaß seine Scheu und machte einen raschen Schritt auf den Shaker zu, als ein gläsernes Klirren die Stille und Christians umherwandernde Gedanken zerriss, was ihn so ins Zittern brachte, dass er davonstürzte und die Tasche zurückließ.
Als er zum Stehen kam, fand er sich inmitten von geschäftigem Getriebe wieder, langsam gelangte Stimmengewirr in sein Ohr und in seinen Kopf das Bewusstsein, dass er nicht vollständig war, etwas fehlte doch an seiner Flanke, er griff sich an die Seite und wirklich: Leere! Christian wusste gar nicht wohin mit seiner rechten Hand, sie baumelte schlaff herunter, dann hob er sie mühsam an die Stirn, hinter der sich etwas zu türmen schien. Er schwitzte, wischte mit dem Handrücken die winzigen Tropfen ab, versuchte, seinen Atem in ruhigen Rhythmus zu bringen und klar zu bekommen, was geschehen war. Die Tasche neben dem Käfig unter dem Fisch, endlich erinnerte er sich. Sein Notizbuch, seine Stifte, seine liebe Wortgesellschaft. Christian stand still im Getümmel, dann setzte er sich in Bewegung.
(Und was ist das? Ein Flugelefant oder ein Seepferdchen?)
„Lux perpetua erforscht den komplexen Kosmos eines scheinbar wohlvertrauten, aber immer neu rätselhaften und tiefgründigen Fragments: Mozarts unvollendetes Requiem.“
Hör- und erlebbar am Sonntag, den 29.Juni um 18 Uhr im Burghof Lörrach
Ein Vers aus der Apostelgeschichte (10,28) begrüßt im Herrnhuter Losungsbüchlein den neuen Monat, dem Exaudi-Sonntag zugeordnet ist dort aber wieder ein Vers, den der Psalmdichter David schrieb. Ich zitiere ihn (Ps.27,7) nach der Elberfelder Übersetzung : Höre, HERR, mit meiner Stimme rufe ich: sei mir gnädig und erhöre mich!
(Der Mai erhält ein Adieu: Hinter der Linde / verbirgt Ottilien sich / im month of maying )