Am 28.März habe ich in diesem Blog über den Beginn des Chorprojektes geschrieben. Am Sonntag, den 29.Juni um 18 Uhr konzertiert nun das asambura ensemble gemeinsam mit dem Motettenchor und dem Kinderchor Lörrach im Burghof (im Rahmen des Stimmen-Festivals).
Hier ein Ausschnitt aus einem Presse- Interview mit dem Dirigenten Joss Reinicke:
Nicht alltäglich für den Motettenchor ist, Abschlussproben im Beisein und unter Mitwirkung des Komponisten zu haben, bei Lux perpetua, dem Zyklus über Ewigkeit, der Inspiration und Klänge aus verschiedenen Kulturen und Musiktraditionen verbindet, bereitet das Zusammenwirken mit dem 1992 geborenen Maximilian Guth noch einmal vertiefte Freude. Und die Klänge spiegeln nicht nur die unterschiedlichen Zeit-und Raumauffassungen von aeterna und perpetua wider, sondern mit ihnen wehen auch die Atmosphären anderer Länder herbei.
Hör- und erlebbar Sonntag, 25.Juni, 18 Uhr im Burghof Lörrach.
Der Schneemann freut sich. Sein Lächeln bringt alle zum Schmelzen. Alle, die am weißen Sommerabend da sind und unter den großen Blättern der Trompetenbäume lagern. Die sich zu den Klängen der Band biegen wie die auf den Wind lauschenden Schilfgräser am Teich. Die ihre Kurven zeigen wie die Aluminium-Skulptur von Ellsworth Kelly. Die ihre Decken ausbreiten wie die Seerosen ihre mattgrünen Schwimmblätter. Die ihre gelben Sommerkleidchen lüften wie das Johanniskraut seine Blüten. Die leichtfüßig übers Gras hüpfen wie die Mücken über die Wasserhaut. Die das Eis in ihren Gläsern schmelzen lassen, dem Bonhomme de Neige zuprosten und noch lange kein Adieu sagen.
(Sound Garden Fondation Beyeler, jeden Mittwochabend, 25.Juni bis 10.September 2025)
(Snowman/Schneemann/Bonhomme de Neige, Fischli & Weiss 1987/2019, Sammlung Fondation Beyeler)
(White Curves/Weiße Kurven/Courbes blanches, Ellsworth Kelly 2001, Sammlung Beyeler)
schreibt meine Mutter in ein 1972 gestaltetes Fotoalbum.
Gemeint ist eine Ausfahrt ins 20 km von Rimini entfernt und auf 330 m sul livello del mare liegende uralte Dörfchen Verrucchio, zu der uns der Hotelier und Familienfreund mitnahm, nicht nur, um die Aussicht zu genießen, sondern um im einstigen Schlupfwinkel der Malatesta der Empfindung nachzuspüren, dass das Rad der Zeit sich kaum weitergedreht habe.
Weitere Fahrten „in die Berge“ begleiteten unsere Aufenthalte am adriatischen Meer, immer mit dem Hoteliersfreund, manchmal auch zusammen mit dessen Mutter, der nonna P., oder anderen Familienmitgliedern, zum balcone della RomagnaBertinoro oder zum 35 km von Mauro Mare entfernten Dorf San Leo, zu dem eine einzige Straße hinaufführt. Der heilige Leo, Bischof von Rom im 5.Jh.n.Chr., soll die erste christliche Gemeinde hier gegründet haben. Die trutzige Festung auf dem fast senkrecht stürzenden Felsen (in römischer Zeit Mons Feretrius) hatte im 18.Jh. einen berühmten Gefangenen: von 1791 bis zu seinem Tode am 26.August 1795 war der Alchimist, Arzt, Freimaurer und Hochstapler Giuseppe Balsamo hier eingekerkert, besser bekannt unter dem von ihm selbst erfundenen Namen Graf Cagliostro. Im von der Hoteliersfamilie erstellten und im Hotel bereit liegenden Informationsblatt hieß es, dass Cagliostros Elixiere den Damen ewige Jugend versprachen, dass seine Geisterbeschwörungen ihn überall bekannt gemacht hatten und dass seine Gestalt auch Inspiration für literarische Figuren war: in Schillers „Geisterseher“ und in Goethes „Groß-Cophta“. (Goethe hat sich intensiv mit dem Hochstapler Cagliostro auseinandergesetzt und Prozessschriften en détail studiert, sich außerdem bei dessen Familie in Sizilien unter falschem Namen als Vertrauter ausgegeben).
„Ihr glaubtet, in eine finstere Burg einzutreten und hattet Euch schon auf eine furchterregende Schau vorbereitet, als Ihr plötzlich gewahr werdet, von einer heiteren und stillen Atmosphäre voll Frieden und Freude umgeben zu sein“, schreibt die Mutter unter Fotoerinnerungen an San Leo. Und die Tochter regte das San Leo-Erlebnis zu einer Sandnachbildung am Strand an.
Auch im Herrnhuter Losungsbüchlein ist der Tag so ausgewiesen und optisch gestaltet wie ein Sonn- oder Feiertag mit zusätzlichem Tagesvers und den Vorschlägen für bestimmte Bibelstellen als Predigt- und sonstige Texte. Nur die sonntägliche Psalm-Empfehlung fehlt. Dafür ist als Lied die Nummer 141 des evangelischen Kirchengesangbuches angegeben, die in meiner Ausgabe unter der Rubrik „Besondere Tage“ zu finden ist.
Früher wurde Johanni, das Hochfest der Geburt Johannes des Täufers, auch als Sommerweihnacht bezeichnet in Korrespondenz zur winterlichen Feier von Christi Geburt. Beide Daten sind eng verknüpft mit den antiken Traditionen zur Sommer- und Wintersonnwende. Allerhand Bauernregeln sind zudem mit dem Johannistag verbunden, es gibt Zeigerpflanzen und bestimmte Tiere, die nach dem Tag benannt sind: Johanniskraut, Johannisbeere, Johanniskäfer, St.Johannis-Kerze; um den Tag herum beginnt die Ernte vieler Feldfrüchte, für Rhabarber und Spargel endet sie aber, weswegen der Tag einen weiteren Beinamen hat: Spargelsilvester.
Ein Johannisfeuer habe ich in der Johannisnacht (23. auf 24. Juni) hier nicht ausmachen können, dafür hat mich nach der abendlichen Chorprobe das spät noch vorhandene Lichtschauspiel erfreut, das der Himmel entlang des Wiesentalbachs und über dem Hügel aufführte.
Und wenn ich auch heute im Elsass war, so gab es doch dort nicht den Johanniskuchen, der früher am Mittag des Festtages in noch warmem Zustand nach Hause getragen wurde, woher die Redensart „Hans Dampf in allen Gassen“ stammen soll.
Aber, da mich ein Termin ohnehin in die Nähe der Dreiländerbrücke brachte, konnte ich ihrem Angebot folgen und den Rhein queren, um den Fluss dann ein Stück aufwärts zu begleiten auf französischem und schließlich eidgenössischem Boden bis zum Hafen St.Johann, an dessen Passagierbootanleger die Amadeus Star neben der Viking Sigyn ankerte.
Das Basler Quartier St.Johann ist nach dem Johanniterorden benannt, der 550 Jahre lang, (Mitte des 13. bis Beginn des 19.Jahrhunderts) dort eine Kommende hatte.
(Bei der in der Tradition des Johanniterordens stehenden Johanniter-Unfall-Hilfe absolvierte ich im Sommer 1977 einen Schwesternhelferinnenkurs)
„Wo war eigentlich das Konzert mit Alfred Brendel, bei dem wir mit ihm auf der Bühne saßen? Wir sind ja zu Fuß gelaufen, weshalb es nicht allzu weit weg gewesen sein kann. Brendel spielt bzw. lebt immer noch mit 92 in London. Tapfer!“ – schrieb mir einmal jemand, der wie ich im Winter 1977/78 in der Casa delle Diaconesse wohnte. Leider konnte ich darauf keine Antwort geben, denn meine Erinnerung war genau diese: wir sind zu Fuß gegangen, wir saßen mit auf der Bühne – mehr erinnerte ich nicht mehr und leider (!) hatte ich es auch nicht aufgeschrieben. Das Konzert muss aber im Februar 1978 stattgefunden haben, in den letzten Tagen meines römischen Aufenthaltes, diese Erinnerung war Monate vor der Anfrage plötzlich sehr präsent gewesen (da habe ich sie aufgeschrieben). „Ich freue mich sehr, dass ich jemand habe, um Gespräche zu führen und Musik zu machen.“ – das notierte ich aber am 5.November 1977, denn „Jemand“ spielte selbst sehr gut Klavier und ich hatte meine Blockflöten und Noten dabei (es waren Händelsonaten). Die Musik zog Kreise und die (sonst gestrenge) Leiterin des Hauses an, der Tagebucheintrag fährt fort: „abends sagt Schwester R.,…, sie hätte uns gehört und wir könnten dann ja auch zusammen musizieren, sie spiele auch Flöte und hätte Noten für zwei Blockflöten und Klavier. Schön! Das war das erste Mal, dass sie heute freundlich war, vorher hatte sie nur immer irgendetwas auszusetzen oder zu bestimmen. Wie gut, dass ich meine Flöte mitbrachte!“
Am 17.Juni 2025 ist Alfred Brendel nun im Alter von 94 Jahren gestorben, am 18.März hatte ich in diesem Blog über einen Dokumentarfilm geschrieben, der in arte lief: Die Alchemie des Klaviers, in dem sich auch sehr sehenswerte Sequenzen mit Brendel finden (leider ist er in der Mediathek wohl nicht mehr abrufbar).
Das Konzert in Rom blieb das einzige Konzert, in dem ich Brendel live erlebte. Die Blockflöten habe ich noch, sie liegen aber seit langem in der Schublade. Das Chorsingen war und ist ein „must-have“ und weiter lebendig. Auch nur ein einziges Konzert wird es geben beim aktuellen (und zur derzeitigen Weltlage passenden) Projekt mit dem asambura-Ensemble „Lux perpetua“ am Sonntag, den 29.Juni 2025 um 18 Uhr im Burghof Lörrach (im Rahmen des Stimmen-Festivals), es gibt noch Karten.
(Und wer weiß , vielleicht reaktiviere ich ja einmal wieder die Flöten?)
Psalm 28, ein Psalm Davids, ist im Herrnhuter Losungsbüchlein für die heutige Bibellese angegeben. Ich zitiere an diesem Sommertag den siebten Vers nach der Elberfelder Übersetzung:
Der HERR ist meine Stärke und mein Schild; auf ihn hat mein Herz vertraut, und mir ist geholfen worden; daher jubelt mein Herz, und ich will ihn preisen mit meinem Lied.
„Man schrieb Anno Domini 1271. Obgleich der Himmel in lieblicher Bläue herniederlächelte, die ganze Natur Frieden atmete, war doch im Bistum Basel und den angrenzenden Landschaften von nichts weniger denn vom Frieden die Rede“ – so beginnt der 1910 veröffentlichte historische Roman von Käthe Papke (1872-1951) „Die Letzten von Rötteln“, der – von alten Chroniken ausgehend – in einer fiktiven Geschichte Geschehnisse auf und um die Burg Rötteln zur Zeit des Rudolf von Habsburg, des späteren römisch-deutschen Königs, lebendig werden lässt.
Lieblich blau lächelt der Himmel auch am Abend des 20.Juni zum Auftakt der diesjährigen Burgfestspiele, zu denen sich Jahr für Jahr (Laien-)Schauspieler für Aufführungen in der imposanten Kulisse der drittgrößten Burgruine Badens zusammenfinden. Will man dem Gedränge auf dem oberen Parkplatz entgehen, wählt man einen von Steinen und Wurzeln durchwirkten Weg, der durch alten Buchenbestand auf die Anhöhe führt und fühlt sich in kühler grüner Kathedrale, bevor einen auf den Plateaus zwischen alten Mauerresten wieder die laue Luft des Sommerabends umfängt. Wehrhaft und wohnlich war Burg Rötteln und die Ruine zeugt noch heute davon, der Giller (ein kräftiger Viereckturm) bewacht den Zugang, der aus Quadersteinen errichtete Bergfried erhebt sich weiterhin an höchster Stelle, dass das Hauptgebäude dreigeschossig und mächtig war, lässt sich noch erkennen, aber ziemlich sicher stammt der im Burghof ausgeschenkte Wein nicht aus dem noch erhaltenen Weinkeller unter dem alten Südbau. BurgLiebe heißt die Burgschenke, die an den Theaterabenden im Biergarten erfrischende Getränke und kleine Speisen bereithält, das ehemalige (vor allem für Fischgerichte bekannte) Restaurant hier oben hatte vor Jahren aufgegeben (ohne dass ich es von innen gesehen hätte). Die Burgschenke passt gut zum alten Gemäuer, das mehrere Vorhöfe umschließt, wir stellen das funkelnde Glas auf ihm ab und gönnen den Augen die Weitsicht auf Lörrach, auf Basel und den Schwarzwald. Dann kündet ein Signal vom nahenden Vorstellungsbeginn, wir nehmen unseren Platz ein, zur Linken eine hohe Mauer, deren Durchlass auch dem Auf- und Abtreten der Spieler dient. Gegeben wird „Tartuffe – der Betrüger“, eine etwas adaptierte Version von Molières Komödie, die (religiöse) Scheinheiligkeit und Heuchelei in solch einem Maß kritisiert, dass sie nach der Uraufführung im Beisein des Sonnenkönigs in Schloss Versailles am 12.Mai 1664 einen Theaterskandal auslöste und zunächst verboten wurde (auch eine zweite Fassung wurde 1667 verboten, die am 5.Februar 1669 im Palais Royal deutlich geänderte dritte Fassung erhielt dann die Unterstützung Ludwig des XIV.) Unter freiem Himmel, der während der beiden Aufführungsstunden nur langsam an Helligkeit verliert, lauschen wir gerne den wort – und temporeichen Dialogen der deutlich gezeichneten und von den Darstellern gut ausgefüllten Figuren, dem eigensüchtigen, instrumentalisierenden Blender und dem, der sich blenden lässt (oder blenden lassen will), der scharfsichtigen, zungenfertigen, geschickten Dorine und allen anderen, wir lächeln und lachen, aber es meldet sich (wenn auch gemildert durch den Sommerabend), wie beim auf Burg Rötteln angesiedelten Roman von Käthe Papke, die Beklemmung angesichts nicht zu übersehender aktueller Parallelen.
Wir singen weiter, sagt die Chorkollegin, als wir über Steine und Wurzeln in der nun doch einbrechenden Dunkelheit den Weg zurück zum Parkplatz gefunden haben. Ja, antworte ich, unbedingt.
(Käthe Papke: Die Letzten von Rötteln; meine Ausgabe: Christliches Verlagshaus Stuttgart 1977)
ist der Titel eines Buches, das ich im März 2021 erworben habe, 24 Schriftstellerinnen schreiben darin über das Schreiben, über ihr Schreiben. Heute habe ich es wieder in die Hand genommen, um endlich mit dem Exzerpieren fortzufahren, das ich vor längerer Zeit begonnen, dann aber ausgesetzt habe. Dabei exzerpiere ich liebend gerne und viele Jahre war es beinahe die einzige Art des Schreibens, die ich ausübte. Fand ich in einem Buch, in einer Zeitung oder Zeitschrift oder sonst irgendwo einen Abschnitt, einen Satz, eine Wendung, die mir gefiel (inhaltlich,sprachlich), wollte ich das unbedingt in meiner eigenen Schrift festhalten und bewahren, damit ich mir das Gelesene besser merken und immer wieder vergegenwärtigen konnte. Außerdem wollte ich einfach schreiben, die reine Tätigkeit des Schreibens mit der Hand meine ich, den Stift über das Papier führen. Meist ein Stift mit schwarzer Tinte oder ein Bleistift. Heute habe ich denselben Stift gleich wiedergefunden, mit dem ich das Exzerpieren aus Schreibtisch mit Aussicht in einem gesonderten gebundenen Notizbuch begonnen hatte (schwarz, 0,5mm, pure liquid ink; die Überschriften mit einem gleichen Stift in Rot).
Zwischendurch schaue ich aus meinem Schreibzimmer in den Garten, aber heute kommt er nicht vorbei, der Grünspecht, der mich vor Kurzem zweimal besuchte. Dann lege ich den Stift aus der Hand und lese ein wenig weiter in Schreiben am Meer. Wo der Himmel größer ist (Transit-V. Berlin 2024). Kristine von Soden zitiert darin auch die jüngste Tochter von Thomas Mann, die ausgebildete Konzertpianistin und als Seerechtsexpertin und Ökologin tätige Elisabeth Mann Borgese (gest.2002): „Und dann standen wir auf einmal am Meer und schauten ganz benommen in die Ferne. Was mich am tiefsten beeindruckte, war der Horizont, der sich fest und ungebrochen, wie von einem überdimensionalen Zirkel gezeichnet, von einem Ende des Blickfeldes zum anderen hinzog.“
(Quellenangabe zum E.Mann-Zitat im genannten Buch auf S.150)
(Schreibtisch mit Aussicht. Schriftstellerinnen über ihr Schreiben. Kein&Aber- V. Zürich-Berlin 2020)
Es zieht mich zum Wasser und da ich kein Meer in der Nähe habe, nehme ich wieder einmal mit dem Rhein vorlieb, der -aus den Alpen kommend -zwar schon das Schwäbische Meer durchquert, es bis zur nördlichen See aber noch weit hat. Mehr als 800 Kilometer schickt er sein Wasser weiter Richtung Norden, bevor er die Arme ausbreitet, um sich mit dem lang erwarteten Meer zu vereinen. Die Lustgartenstrasse lasse ich hinter mir und erreiche den auf deutscher Seite neugestalteten Park neben der Dreiländerbrücke. Breite Stufen säumen das Rheinufer und laden zum Verweilen ein, aus den Rasenflächen erhebt sich alter Baumbestand und sorgt für Schatten und angenehme Temperierung, einige Birken halten ihre Kronen hoch und dem morgenblauen Himmel entgegen, ein leichter Wind kommt auf und weckt im silbernen Glanz der Blätter ein helles Säuseln, als wisperten sie von südlichen Verwandten. „Papa schaukeln, Papa schaukeln“ wiederholt ein blondlockiges Mädchen so lange, bis der Gebetene sich endlich vom Springen auf der im Boden eingelassenen Trampolinmembran löst, das vors Gesicht gehaltene Smartphone sinken lässt und in meerblauen Shorts dem Töchterchen zu anderen Spielgeräten folgt. Ich betrachte die Stelen des Dreylanddichterweges, der hier beginnt und lese übers alltägliche Glück im Wiisedaal, das der 2014 in Basel gestorbene Verleger, Autor und Buchhändler Hans Rudolf Schwabe beschreibt, nicht ohne Hommage an den berühmten Kollegen alemannischer Mundart Johann Peter Hebel : D Lyt sinn glyych wie miir und schwätze wie der Hebel.
Dann überquere ich den Rhein auf den fast 230 Metern Spannweite der Dreiländerbrücke, ihr Vibrieren steigt von den Füßen hinauf bis zu meinen Augen, die sich an die sichernden Stahlseile klammern, wo zerfetzte Europafähnchen dennoch weiter wehen. Auf der anderen Seite empfängt mich der Colmarer Autor Edgar Zeidler mit Elsässerditsch und seinen Gedanken zu Krieg und Frieden zwischen den sich hier begegnenden Ländern: Unter dr Bruck zwiiselt dr Rhi, Geschichtsbuach vo viela Välker….Uff dr Bruck komma zwei Lander langsam anander entgega. Beidi stibbra sich am Glander… Uff da Brucka iwerem Rhi verkehra d’Manscha in Frieda, dian frindlig mitnander reda. Dr Himmel trinkt a Gläsla Wi.
Das Glas Wein hebe ich mir für später auf, ich will einen schattigen Rastplatz suchen, von dem ich nicht nur die Flusskreuzfahrtschiffe Amalucia und Alisa sehen kann, die einträchtig aneinandergeschmiegt hier liegen, sondern mit dem Vorbeigleiten des Wassers auch das der richtigen Rheinschiffe, vom deutschen Park aus gelang das bereits mit dem Niederländer namens Ensemble und nun, als ich französischen Boden betrete, fährt doch tatsächlich vom Rheinknie kommend die Basilea Richtung Norden, die neulich auf dem Fluss zwischen Bonn und Koblenz den Lauf meines Zuges Richtung Süden begleitete. Das freut mich umso mehr, als ich eine sonnengelbe Lektüre mit mir führe, den originalgetreuen Nachdruck der seltenen 1849er Ausgabe von Bädekers Rheinreise von Basel nach Düsseldorf, den ich einmal geschenkt bekam und in dessen Vorbemerkung es heißt, dass der ganze Inhalt ausschließlich auf eigener Anschauung beruht und daher „stets die warmherzige Beziehung des Autors zu seinen Gegenständen spürbar“ sei, was „unterhaltsame Lektüre“ garantiere. Das glaube ich gleich, zumal der Herausgeber sein Bemühen versichert, „zwischen dem Zuviel und Zuwenig die rechte Mittelstraße zu finden“.
Ich finde den Ruheplatz auf einer hölzernen Liege im Schatten unter den Nadelzweigen einer Pinus sylvestris, wo eine auffrischende Brise über die bloßen Arme streicht und freie Aussicht gewährt wird auf das heute gemächliche Türkisgrün des Rheinwassers, so dass die Meeresillusion perfekt scheint, wären da nicht die blonden Ähren des hochstehenden Ufergrases und die Höckerschwäne, die ihre Bahnen ziehen. Meine Lektüre blickt wie ich auf Weil, auf Seite 124 beschreibt sie den Stollen, der für die Bahnstrecke durch den Isteiner Klotz gesprengt werden musste und das Auffächern des Panoramas, wenn der Zug den Stollen verlässt „Unmittelbar beim Austritt aus dem Stollen öffnet sich plötzlich eine herrliche Aussicht auf den Lauf des Rheines und das Elsaß. Weil am Eingang des Wiesentals, 1 St. von Basel wird vorläufig Endpunkt der Bahn sein.“
Den Höckerschwan interessiert das nicht, er wäscht seine Flügel, taucht sie mehrfach tief ins Wasser, erhebt sie dann in die Lüfte, breitet sie weit aus und schüttelt alle Tropfen aus den Federn, die beiden Schwanenküken bleiben lieber etwas entfernt und sind erstaunt, erst als der große Schwan den zuvor hochgetragenen Kopf auch unter Wasser taucht, imitieren sie seine Bewegung. Von hier aus wirken die Stahlseile der Passerelle des Trois Pays als seien sie gespannt für Fadenspiele, denen neulich das Tinguely-Museum eine Ausstellung widmete, die ich leider verpasst habe. Ein kleines weißes Boot nähert sich tuckernd der Brücke, unter dem hellen Sonnenschirm, der dem Boot an Größe nicht nachsteht, ist die Besatzung kaum auszumachen.
Mein Buch befördert mich zurück nach Düsseldorf, das ich kürzlich besuchte und ich lese, dass es den Breidenbacher Hof auch 1849 schon gab, jetzt nicht mehr existent aber ist der „Bahnhof der Düsseldorf-Elberfelder Bahn … unmittelbar neben dem Köln-Mindener“, die Seite 354 verweist für Informationen zu Fahrzeit und Fahrpreisen auf Seite 348. Den ersten Haltplatz Gerresheim fuhr neulich aber eine S-Bahn an und auch an den Halt in Erkrath kann ich mich erinnern, nicht aber an eine dortige Wasserheilanstalt. Über die „uralte Stadt Kaiserwerth“ wird berichtet, dass sie in 20 Minuten von Düsseldorf zu erreichen ist, das gilt durchaus auch für die heutige U79, Erwähnung finden die Stiftungen, „gegründet und geleitet von dem unermüdlich thätigen Pfarrer Fliedner, dessen Wirksamkeit sich auf einen großen Theil des protestantischen Deutschlands ausdehnt“ und mir fällt das Straßenschild ein, das ich sah „Friederike-Fliedner-Straße“, es erinnert an die unermüdlich mit ihrem Mann tätige Krankenschwester, die 1837 die Aufgabe der Vorsteherin im 1836 neu gegründeten Diakonissenhaus in Kaiserswerth übernahm, 1842 aber bei der Geburt ihres elften Kindes starb. 1848 seien es bereits über 100 Schwestern gewesen, die in der „Diakonissenanstalt zur Erziehung evangelischer barmherziger Schwestern“ ausgebildet wurden, meint der Baedeker, und ich schicke von meiner Liege am Rhein wieder wie schon vom Weg am Fluss neben der Ruine der Kaiserpfalz im uralten Städtchen einen inneren Gruß an Schwester R., die vor Jahrzehnten die Casa delle Diaconesse Germaniche di Kaiserswerth in Rom leitete, in der ich für einige Zeit zuhause war. „In der alten Stiftskirche ruhen die Gebeine des h.Suitbertus, der hier um 710 das Evangelium zuerst verkündete“, lese ich und bin wieder versetzt in die stille Kühle des katholischen Gotteshauses, das ich vor Kurzem das erste Mal betrat.
Ein Schwanenpaar fliegt mit synchronem Flügelschlag über das Wasser und will sich wohl auf dem Wiesentalbach niederlassen, der Wind trägt gurgelnde Lautäußerungen der Beiden herüber, ich lege mein Buch aus der Hand und gehe ein paar Schritte, denn nun muss ich doch hinein in das Wasser und den Fußsohlen Kontakt mit den Rheinkieseln gewähren, ufernah ist der Fluss ruhig und sonnenwarm. Über dem verschwimmenden Blau der Schwarzwaldhöhen beginnen sich die Nachmittagswolken zu türmen, ich gebe meinen Rastplatz auf und entdecke auf dem Rückweg ein Weiler Novum, eine Kölschbar hat an verkehrsreicher Lage eröffnet und erste Gäste sitzen unter der unverkennbaren Silhouette eines Doppelturms, die in Rot den Schriftzug komplettiert. Den Altweiler Kirchturm krönt ein großes Nest, einer der Weißstörche steht in den Himmel gereckt und lässt sein Klappern über die Dächer klingen. Die Gedenktafel für Gustave Fecht, die am 23.April 1828 in Weil am Rhein starb, sieht der Storch nicht, unten an der Kirchenmauer ist sie eingelassen und erinnert daran, dass die Eimeldinger Pfarrerstochter eine gute Bekannte vom Dichter der Alemannischen Gedichte und Verfasser der im Schatzkästlein des Rheinischen Hausfreundes versammelten Erzählungen und Kalendergeschichten war, Johann Peter Hebel, mit dem sie eine jahrzehntelange Brieffreundschaft verband.
Bonne journée hatte ich der Madame gewünscht, die sich über das Freiwerden der beschatteten Holzliege am Rhein freute und den Gruß um ein Bonne promenade erweitert zurückgab. Ja, kann ich da sagen, die hatte ich, une très bonne promenade.
(Baedekers Rheinreise von Basel nach Düsseldorf. Die bibliophilen Taschenbücher Nr.29, ISBN 3-921846-29-3)