Dieser einem Nietzsche-Gedicht entlehnte Anruf war der Titel einer Ausstellung, die ich vergangenes Wochenende im Düsseldorfer K21 noch kurz vor ihrem Ende ‚erwischt‘ habe. Der den meisten als Theater- und Filmschauspieler bekannte, aber u.a. auch als DJ tätige, 1976 geborene Lars Eidinger erhielt im K21 die Gelegenheit, in erster monografischer Museumsausstellung seine Fotografien und Videos zu präsentieren.
Bevor ich allerdings Eidingers „Blick auf die Welt“ folge, schaue ich erst einmal selbst auf die nahe Umgebung, von hoher Warte aus, dem Himmel näher gerückt unter der großzügigen Glaskuppel, die das alte Ständehaus überspannt. Ich verweile lange Momente, blicke nach oben und an allen vier Seiten hinaus, nehme auf einer der Sitzgelegenheiten Platz. Dann erst steige ich die ‚Himmelsleiter‘ hinunter und begebe mich in die Bel Etage, dass sie so heißt, habe ich der Unterhaltung zweier Museumsaufseher in Livree entnommen, die bei der ‚Himmelfahrt‘ die Liftkabine mit mir geteilt haben. Ein „Kaleidoskop der Gegenwart“ wären die Exponate, meint der Begleittext und attestiert Eidingers Kunst „lakonische Beiläufigkeit“. Fotos und Videos wurden zwischen 2018 und 2024 mit dem Smartphone oder der Spiegelreflexkamera aufgenommen und zeigen in den drei Ausstellungsräumen alltägliche Szenen aus Städten, in denen Eidinger beruflich unterwegs war, wie zum Beispiel Paris, Tokyo, Peking, London, Solingen, Köln, Heidelberg, Stuttgart, Basel, und ebensolche Sujets aus Eidingers Heimatstadt Berlin. In Berlin lebt auch die 1960 geborene japanische Schriftstellerin Yoko Tawada, die zu Eidingers Fotografien ihre in deutscher Sprache verfassten Haiku handschriftlich an die Wände angebracht hat. Mit seinem Kamera-Auge erfasst Eidinger scheinbar nebensächliche Details ganz alltäglicher Umgebungen und Situationen, er fokussiert sie, schneidet sie aus und vergrößert sie, so dass sie plötzlich im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen und einen Widerhall hervorrufen. Bei Eidingers Videos muss ich sofort an „Beobachtendes Notieren“ und an den französischen Schriftsteller Georges Perec mit dem „Versuch, einen Platz in Paris zu erfassen“ denken, denn die Videos sind mit einer einzigen Einstellung aufgenommen, die Kamera steht still an einem Ort und „beobachtet“, was vor ihrem Auge geschieht, viele Minuten lang. Ich stehe mit ihr still und schaue auf den Mann, der in Berlin vorbei fahrende Autos betrachtet, oder auf die Passanten, die in Leipzig an einer beleuchteten Schaufensterfront vorübergehen, dann aber bewege ich mich, trete an eines der hohen Fenster, blicke auf den von der Düssel gespeisten Doppelteich der Parkanlage (Kaiserteich und Schwanenspiegel) und fotografiere mit dem Smartphone die 1897 enthüllte bronzene Brunnenplastik von Vater Rhein und seinen Töchtern.

(zu Georges Perec und „Beobachtendes Notieren“ s. u.a. Paul Klambauer „Schreiben lernen. Die literarische Profilbildung von Studienanfängern des Kreativen und Literarischen Schreibens an der Universität Hildesheim“, Aisthesis Verlag, Bielefeld 2022)