Am 15.Mai schlendere ich nicht nur durch die Eurovision-Song-Contest-Atmosphären und entlang der Lightning-Symphony von Claudia Comte, sondern komme am Spalenberg auch bei einem Antiquariat vorbei und natürlich mal wieder nicht umhin, dort etwas mitzunehmen, diesmal ist es „Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch“ von Jean Paul, und zwar ein Reprint der im Insel-Verlag 1912 erschienenen Ausgabe mit 16 Zeichnungen in zweiter Farbe von Emil Preetorius aus Anlass des 75.Bestehens der Insel-Bücherei (Insel-Bücherei Nr.1073). Offenbar hatte trotz des Gedenkjahres zum 200.Todestag von Jean Paul (1763-1825) niemand das Buch haben wollen, denn es liegt mit anderen aussortierten vor dem Ladenlokal an der frischen Luft auf dem Tisch, von dem man alles für einen Fünfliber (gelegentlich auch Schnägg genannt) erwerben kann.
Vierzehn fantasiereiche Beobachtungs-Flüge über Deutschland und die Schweiz macht der Giannozzo Genannte und schreibt sie ins Luftschiff-Journal unter dem Titel „Almanach für Matrosen, wie sie sein sollen“, adressiert an seinen Freund Graul, der am Rheinfall von Schaffhausen die Leiche des abgestürzten Luftschiffers findet und das Reisetagebuch bearbeiten und veröffentlichen soll. Zuvor schreibt der Aeronaut „Ich bin geschieden von der Welt – die unendliche Wetterwolke überdeckt die Schweiz und alles…“ , aber er schreibt und schreibt „bis auf die letzte Schlagminute“ : „vielleicht wird mein Tagebuch nicht zerschmettert“. Die Leser seines Reise-Almanachs spricht Giannozzo im Kapitel „Erste Fahrt“ mit „ihr Brüder meines Herzens“ an.
Ich habe den Fünfliber und freue mich, dass das Buch mich gefunden hat, meine erste Begegnung mit ihm hatte ich nämlich im September 2023 an einem Luftschiffhafen (den gab es von 1911 bis 1919 tatsächlich in Potsdam), dort stand es in der Flurbibliothek eines Hotels in einer anderen Inselbücherei-Ausgabe (Nr.434), flankiert zur Rechten von Nr:632 Scholochow: Aljoschkas Herz und Nr. 654 Honoré de Balzac: Das Mädchen mit den Goldaugen sowie zur Linken von Nr.616 Michelangelo: Sibyllen und Propheten, Nr.970 Cranach: Zeichnungen und Nr.369 Gogol: Der Revisor).
Ist das nun alles erzählenswert? Ich habe so meine Zweifel. Peter Bichsel beruhigt mich ein wenig mit seinen wunderbaren Ausführungen zum Lesen, zum Erzählen und Schreiben in Der Leser. Das Erzählen. Frankfurter Poetik-Vorlesungen (Sammlung Luchterhand, Oktober 1982).
