„Ein bunt gefederter Teil“

Wer das gemalt hat, fragt der groß gewordene Jemand, als ich die Tür zu einer Abstellkammer öffne und er die bunte Szene mit der am Seeufer sitzenden Frau sieht. Der freudige Fratz will es natürlich auch sehen, muss hochgehoben werden und staunt es dann mit leuchtenden Strolch-Augen an. Mein Papa hat das gemalt, erkläre ich, als er schon alt war. Die Beiden nicken. Was ein „Papa“ ist, können sie gut nachvollziehen.

95 würde er heute werden, feiern konnte er aber nur noch den 75.Geburtstag.

 „Ausblick aus meiner Wohnung“ hat er die Zeichnung betitelt, die er vom Fensterblick aus einer Joh.-Seb.-Bach-Straße fertigte, „Wohnung“ dabei in Anführungszeichen gesetzt, denn davor hatte er in einer Goethestraße gewohnt. Jahrzehnte hatte er nicht gezeichnet oder gemalt, jetzt nahm er Stifte und Farben in zittrige Hände. Gedanken zu Papier gebracht hatte er immer, in Gestalt von Reden oder auch Predigten (als Bürgermeister und Laienprediger), seltener in Briefform. Nun setzte er das fort in kleinen Artikeln für die gedruckten „Nachrichten für Bewohner, Angehörige und Mitarbeiter“ über seine Beobachtungen, zum Beispiel schrieb er über „Die gefiederten Freunde“:

„Die Vögel im …. sind bunt wie das Leben im….Sie bewegen sich ständig, um Wichtiges in Angriff zu nehmen, dem nächsten Artgenossen etwas mitzuteilen, ihm zu helfen, den nächsten Flug anzutreten, ihm zu zeigen, wo es gute Nahrung gibt. Oder aber es gilt, Annäherung auf der Basis von Sympathie zum Ausdruck zu bringen. Oder aber, man fühlt sich vom Nächsten bedrängt im eigenen Platzanspruch. Denn da ist ja die durchsichtige Begrenzung des eigenen Lebensraumes, die „Wand“, die unüberbrückbar erscheint, aber doch bei entsprechender Raumatmosphäre den Blick freigibt, für solche, die es verstehen, die Interesse daran haben durchzublicken. Und sie haben festgestellt, dass es da noch weitere Begrenzungen, Endgültigkeiten der eigenen Lebensräume gibt. Bewegliche Riesen, die zwar immer auf dem Boden sich bewegen, aber unwahrscheinlich groß sind und sich meist hektisch bewegen. Daneben soll es ganze Wände fester Materie geben, und zwar in verschiedenen Farben. Im Allgemeinen dulden diese Wände diese beweglich aufrecht daherkommenden, aber auch für immer weggehenden Existenzen. Es soll aber auch beobachtet worden sein, dass eine Figur einer anderen die Federn mit Gewalt oder mit List abgenommen hat! Unsere Wissenschaftler haben diesen Wesen den „Namen“ Mensch gegeben. Sie haben damit gleichzeitig den Kosmos, der uns umgibt, von dem wir ein Teil sind, ein bunt gefederter Teil sind, begrenzt erklärt. Was soll schon dahinter sein? Der Fantasie, während man auf einem kleinen Zweig zum Ausruhen sitzt, sind Tür und Tor geöffnet!“  (G.S. im März 2005)