Best Ager Darstellerin gesucht

Seit einiger Zeit spielt mir Instagram immer wieder Werbung einer Plattform zu, die Darsteller für Werbespots sucht, zum Beispiel eine Best Ager Schauspielerin, die als „Callcenter Anette“ für ein Social Media Format agieren soll, die Bezahlung ist angegeben und dem geposteten Foto ist offenbar zu entnehmen, welchen Vorstellungen die BewerberInnen entsprechen sollen, für diesen Auftrag jedenfalls kommen w/d-Personen in Frage, gezeigt wird eine freundlich lächelnde schlanke ältere Dame mit weißem kurzem Bob (oder sind die Haare hochgesteckt? Ein feines Haargespinst ist hinter den Ohren neben dem Nacken noch zu erkennen), das warme kräftige Rot des Lippenstifts passt perfekt zum Blazer. Ich habe keine Ahnung, warum ich diese Anzeigen sehe, erhalten sie vielleicht alle Menschen, die sich auf Instagram tummeln? Denn, überlege ich, woher sollte der Meta-Konzern wissen, dass ich schon einmal an einem Casting teilgenommen und in der Oberstufe in der Theater-AG gespielt habe? Habe ich ihm das etwa verraten? Über verborgene Flüsterbogen zugeflüstert? Gut also, jetzt kannst du es eben wissen, Meta, ich erzähle es dir öffentlich: ich war mal zu einem Casting für die Serien Richterin Barbara Salesch und Jugendgericht, an einem 29.Juni um 18 Uhr, der Ort gut zu erreichen, zweieinhalb Stunden (Eigen-) Zeit zu ermöglichen, der professionelle Foto-Termin fürs Portrait- und Ganzkörperfoto bezahlbar. Etwas jünger als die Dame aus der Instagram-Anzeige war ich, aber doch schon Ü 40, Middle-Ager also. Haare knapp schulterlang, Metallrahmenbrille, Lippenstift passend zur Bluse mit gerundeten graphischen Mustern von weiß über orange und rot zu schwarz. Was ich vor der Kamera gesagt habe, erinnere ich nicht mehr, auf jeden Fall mangelte es wohl an spontaner Schlagfertigkeit, ich wurde nicht genommen, das Setting beim Casten aber und das ganze Drumherum waren mir Feier genug.

Das Buch „Wir spielen immer“, in dem Will Quadflieg (1914-2003) Erinnerungen festhielt, hatte ich mir gewünscht für die Anerkennungsgabe zu den „Leistungen“ in der Theater-AG, die sich aber auf Nebenrollen beschränkten, in Dürrenmatts Die Physiker, in Ionescos Die Nashörner, wir durften auf der Bühne des „Theater am Ring“ auftreten. Was habe ich denn im Jahr 1977 in dem Buch angestrichen (ich weiß noch, dass ich es las, als ich bei der Johanniter-Unfallhilfe einen Schwesternhelferinnen-Kurs absolvierte)? „Wissen, woher man kommt“ ist die Seite 13 überschrieben und mit Bleistift markiert habe ich die „innere Biographie“ im Satz „Doch es gibt so etwas wie eine innere Biographie, und mit der war ich ohnehin seit einiger Zeit beschäftigt, als ich begonnen hatte, in mir aufzuräumen.“ Über den Seiten 206ff steht „Die Existenz des Schauspielers“ , markiert habe ich „ich stelle eine andere Person dar, als ich bin, aber ich lüge nicht. Ich zeige nur die eigenen inneren Wahrheiten, die der Dichter an- und ausgesprochen hat.“ „Mein Hauptantrieb zum Theater zu gehen, das weiß ich genau, war das Wort, die Ausformung der Sprache.“ „Was nicht erlischt, ist mein Bedürfnis, Verse zu sprechen, ist der innere Zwang, mich selbst immer genauer kennenzulernen; auch mir selbst zuzeiten zu entkommen…“ Auf Seite 232 unter „Rechenschaft vor mir selbst“ einen ganzen Abschnitt zu Bachs Matthäuspassion mit dem Choral ‚O Haupt voll Blut und Wunden‘  und besonders den Satz „Seit der Arbeit an….hat die Verbindung von Musik und Wort eine ständig wachsende Anziehungskraft für mich“. S.246: „Niemand kann die magische Kraft und Wirkung, die einige aneinandergereihte Worte in einer aufnahmefähigen Seele bewirken können, logisch definieren.“

Genug, die Best Agerin hört hier mal auf, sonst finden das Zitieren und der Blog-Eintrag kein ENDE.

(Will Quadflieg: Wir spielen immer. Erinnerungen. S.Fischer-V., Frankfurt a.M. 1976)