Isola San Giulio

Ich weiß jetzt, an wen mich Etta Scollo mit ihrer schwarzen Baskenmütze auf dem Kopf so sehr erinnert hat: an Mario, unseren „Fährmann“ auf dem Ortasee. Er trug die Mütze wie sie.

Die Isola San Giulio im Ortasee war ein immer wieder aufgesuchter „Familienort“ der Herkunftsfamilie samt Großeltern, Tanten, Onkels, Cousins und Cousinen. Mein Vater war schon als junger Mann per Fahrrad aus dem Saarland dorthin gefahren als Leiter des Jugendkreises einer Methodistengemeinde, deren Pastor später mein Großvater wurde. Von Kindheit an und bis in mein Teenageralter gab es Aufenthalte auf der Insel und Mario war der Fährmann, der uns übersetzte. Ich habe die Insel geliebt und etliche Erinnerungen daran sind recht lebendig geblieben, an die Bootshäuser zum Beispiel, an das Kopfsteinpflaster der einzigen Gasse, die rund um die kleine Insel führte, an den großen Gebäudekomplex des Priesterseminars in ihrer Mitte, an das Dunkel einer Krypta, an das „Giro giro tondo, casca il mondo“, das wir Kinder mit italienischen Kindern beim Ringelreihen sangen.

Und jetzt zitiere ich mich einmal selbst, wie ich es am 6.Februar 1974 in mein Tagebuch schrieb im für die damals 15-Jährige noch recht kindlichen Sprachduktus:

„Ich habe so viele Gedanken und ich glaube, wenn man dann wenigstens ein paar dieser Gedanken niederschreibt, wiederholt man sie sich nicht immer. Es ist so viel geschehen, so viel! Ich habe ja beinahe ein Jahr nicht mehr ins Tagebuch geschrieben, und dieses Jahr beinhaltet so viele Sachen, obwohl es doch auch wieder sehr schnell herumgegangen ist. Am Besten ist, ich fange da an, wo ich aufgehört habe. Es kam der Frühling und es kamen die Osterferien, da fuhren wir nach – S.Giulio! Es war so wunder-wunderschön. Es ist, als ob es gar nicht lange her wäre, denn ich denke immer noch an S.Giulio. Irgendwie kommt es mir vor, als wenn es nur ein Traum wäre. S.Giulio unterscheidet sich so grenzenlos von der Welt, in der wir leben. Ich sehe die kleine Trauminsel immer umgeben von goldenem, schon abendrotem Sonnenlicht, obwohl ich sie doch so oft im Nebel gesehen habe. Aber die Insel hat eine innere Wärme und Geborgenheit, die sie jedem mitgibt, der dazu bereit ist und dessen Herz sich diesem inneren Sonnenschein öffnet. Wir vier und J. (er tauchte nämlich plötzlich mit I. auf) waren bereit, die Wärme und den Zauber der Insel in uns aufzunehmen. Was machten da schon kalte Berger-Wohnungen aus! Jetzt scheint es mir, als trennten uns Welten von diesem kleinen, heiligen Ort; aber in uns bleibt das, was die Insel uns mitgegeben hat und verbindet uns in Dankbarkeit mit ihr. Aber wer sein Herz den inneren Reichtümern der Insel verschließt, der wird nie erfahren, welchen Zauber die kleine Insel auf uns Menschen einer anderen Welt ausübt. Was sehr schön ist: ich werde dieses Jahr meine geliebte Insel wiedersehen!“

Soweit das Zitat. Ein Schwarzweiß-Foto der Isola hing bis zuletzt in meinem Elternhaus über der Telefonablage. Ich habe es noch.