Tag 8 im Dezember

Das oberrheinische Sinfonieorchester ist ein überwiegend aus Nicht-Berufsmusikern bestehendes Orchester, das gleichwohl mit professionellem Anspruch Werke des klassisch-romantischen Repertoires erarbeitet und in bis zu fünf Konzerten pro Jahr zur Aufführung bringt, wobei gelegentlich Werke des 20. und 21.Jahrhunderts den Erfahrungshorizont von Orchester und Zuhörerschaft erweitern sollen. Zudem unterstützt es junge Solisten und Solistinnen dabei, im Rahmen einer Zusammenarbeit erste musikalische Aufführungserfahrungen zu gewinnen. Das Programm der diesjährigen Adventskonzerte am zweiten Adventswochenende bringt vor dem Cellokonzert e-moll, op.85 von Edward Elgar (1857-1934)  die Symphonie brève (g-moll,op.58) des mir bis dahin unbekannten Théodore Gouvy (1819-1898) und nach der fast halbstündigen Pause (reichlich gefülltes, unruhiges Foyer) die Sinfonie Nr.3 in Es-Dur von Robert Schumann (1810-1856). Hätte ich den Kölner Dom in der „Rheinischen“ erkannt, wenn man mich nicht im Text des Programmheftes darauf hingewiesen hätte? Dass ich einer „feierlichen Zeremonie“ beiwohne, war jedenfalls sofort klar (IV) und im „Morgen am Rhein“, wie Schumann ursprünglich das Scherzo (Satz II) bezeichnete, ging ich gleich heiter spazieren.

Seit 16 Jahren lebt die Cellistin Ana Helena Surgik in Lörrach, ist aber nun zum ersten Mal dort aufgetreten, in Brasilien ist sie geboren, wann genau, verrät sie nicht. Auf einem kleinen Podest steht der schwarze, stoffbezogene Klavierhocker, auf dem sie im leuchtend roten langen Kleid Platz nimmt, der Rock des Kleides ist weit ausgestellt entsprechend der Erfordernis der Cello- Haltung. Faszinierend nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen, wie die Finger der linken Hand greifen und laufen, weite Strecken zurücklegen und wie die rechte Hand die verschiedenen Charaktere der Bogenführung bewältigt. Während der Arbeit am Cellokonzert hatte sich Elgar in die Landschaft seiner Kindheit, nach Worcestershire zurückgezogen, lese ich im Netz in einem BR-Klassik-Artikel von Uta Sailer (24.05.2022).

Am Vorabend sah ich in der ARD-Mediathek eine Dokumentation über die Cellistin Lise Cristiani, geboren – wie nach fast detektivischer Recherche herausgefunden wurde – am 4.Dezember 1825, man hätte also an Rilkes 150. Geburtstag an ihren 200. denken können. Ein langes Leben hat sie nicht gehabt, aber es ganz eigen gemeinsam mit ihrem Cello gestaltet. Dabei war aus vielerlei Gründen zur damaligen Zeit eine Frau als Cello-Virtuosin unvorstellbar, unter anderem auch wegen der Art der Cello-Haltung. Sol Gabetta hat sich ihrer frühen Kollegin angenommen, davon erzählt sie auch sehr lebendig in NDR- Kultur (Audio Sol Gabetta über ihre Heldin Lise Cristiani, 14:43 min).

Ana Helena Surgik übrigens hat sich während des Beifalls beim Orchester bedankt, indem sie mit dem ihr überreichten Blumenstrauß in der rechten Hand winkte, als bewegte sie einen Cheerleader-Pompon.

Sol Gabetta über die historischen Spuren der Cellistin Lise Cristiani | ndr.de https://share.google/KuclAxNZfaTCmDDuA