Unbewohnt

Um sie herum unbewohnte Häuser. Spinnweben hinter der Scheibe im Giebel, wo früher die mürrische Alte stand und jede Regung gegenüber mit genauen Augen aufzeichnete, solange die Augen ihr folgten. Als die Augen keine Regungen mehr herein ließen, herrschte die Alte ihren Mann an, der Mund gehorchte ihr noch, und der Mann brachte alles ans Bett, aus dem die Alte nicht mehr aufstand. Der Mann war selber alt, die Haare wirr und weiß, die Hose voller Löcher, ausgeleierte Hosenträger hielten sie gerade noch über einem Hemd, dessen Farbe unbestimmt war. Der Mann sagte nie ein böses Wort zur mürrischen Frau. Irgendwann erübrigte sich sein Gang zum Bett im ersten Stock, er stand vor dem Haus und beschnitt die Hecke, sein linker Arm war dick, man hatte ihm eine Geschwulst aus der Achselhöhle entfernt. Die Gartenschere führte er mit rechts, links griff er ins Grün, ein Kompressionsverband erschien aus dem Ärmel des Hemds, dessen Farbe sich nicht geändert hatte. Mit beiden Händen sammelte der Mann das Schnittgut geduldig in einen Behälter, die Hecke war lang.

Einmal schaute sie nachts aus dem Badfenster im zweiten Stock, ein Polizeiwagen hielt an der Kreuzung, die Beamten halfen dem alten Mann heraus, unsicher tastete er mit Augen und Füßen. Im Nachthemd und barfuß eilte sie hinunter, da aber hatte der alte Mann bereits die Erinnerung und den Hauseingang gefunden.

Irgendwann sah sie ihn lange nicht bei der Hecke, eine fremde Stimme bat am Telefon, sie solle das Haus gegenüber im Auge behalten, es gäbe so viele Einbrüche. Später ließ die fremde Tochter ein Video-Auge anbringen und eine Kette vor die Einfahrt spannen, in der niemand mehr aus dem alten weißen Kombi stieg. Nur das Unkraut erhob sich aus den Ritzen und die Hecke streckte sich in die Höhe, im Sommer garniert vom Weiß der Winden. Eine Katze schlich unter der Kette in die Einfahrt, sonst regte sich nichts.

Auf der anderen Seite der Gasse fehlte das Kinderlachen, das hier aufgewachsen war, sie hatte gehört, wie es sich veränderte und wie sich Laute und Wörter zu ihm gesellten, immer mehr. Im Sommer plantschte es im Gartenpool, der hinter der Buchenhecke stand, und ab und an vermischte es sich mit anderem Lachen und Rufen und ein Ball flog durch die Luft und blieb auf einem Vordach liegen. Manchmal kamen Stimmen Erwachsener hinzu, auch italienische waren darunter, ein Geruch von Grillfeuer zog zu ihr herüber und die Sprachfetzen flogen herbei und wieder davon wie kleine Vögel. Dann zogen Stimmen und Lachen weiter, der Grillplatz lag verwaist, dem Schornstein entwich kein Rauch mehr und nie wieder erhellte Licht das Wohnzimmerfenster, das nun kaum noch auszumachen war hinter dem ungebremsten Wuchs des Holunders.