
Im Gegensatz zu den baden-württembergischen sind die Basler Ferien zu Ende und so gab es gestern Abend im Basler Literaturhaus die Saisoneröffnung mit einer „Langen Nacht der Schweizer Literatur“. Nicht dass man jetzt des Nachts im Literaturhaus oder davor, bei der Barfüsserkirche, sotto le stelle lag, eher saß man hübsch aufgereiht im ausverkauften Haus zum langen Abend, fühlte sich sehr willkommen geheißen mit Knabbersnacks for free und einem Getränkegutschein, den man sofort oder in der längeren Pause zwischen den zwei Blöcken einlösen konnte im Café Kafka. Vorgestellt wurden und haben ihre Werke sage und schreibe sieben AutorInnen, eine Art literarisches Speed- Dating. Wobei es so speedy zum guten Glück nicht war, man konnte von Personen und Werken einen durchaus charakterisierenden Eindruck gewinnen, der meist Lust auf mehr machte. Und welch ein Panorama aufgeblättert wurde! Schweizer Literatur mit der Würze verschiedener Kulturen.
Zu Beginn der Basler Martin Zingg, geb.1951 mit seinem Gedichtband „Klassische Sorgen“, er interessiere sich für den Kippmoment zwischen Anschauen und Beschreiben, sagt er und bedauert, dass es Zwei- und Dreizeiler sehr schwer haben, freut sich aber, wenn er Einsprengsel anderer Sprachen in seine Gedichte deponieren kann , „streunende Zuversicht“ hat mir sehr gefallen.
Dann die 1953 geborene Theres Roth-Hunkeler mit ihrem neu erscheinenden Roman „Damentour“, als Fortsetzung von „Damenprogramm“, sieben Frauen befassen sich in einem speziellen Setting mit dem Altern, auch mit der Begrifflichkeit der Dame wird gespielt.
Als Drittes kommt die 1972 in Luzern geborene und inzwischen wohl in Andalusien lebende Melara Mvogdobo zu Gespräch und Lesung aus ihrem Buch „Großmütter“ (in das ich schon bei C.E.F. einmal hineingelesen habe). Eine kamerunische und eine Schweizer Großmutter offenbaren ihre Leben in Fragmenten; Geschichten, die sehr viel erzählen in äußerst knapper Form. Gefragt danach, wie sie diese Form herstelle, ob sie erst fünfhundert Seiten schreibe und dann streiche, streiche, streiche oder ob sie von Anfang an so kondensiert schreibe, antwortet Mvogdobo: ja, von Anfang an knapp, sie möge das Überarbeiten ganz und gar nicht, der Text ist schon da, wenn sie beginnt, zum Beispiel entstanden beim Abwaschen, das Buch hat sie in fünf Wochen geschrieben.
Vera Hohleiter lebt und schreibt seit 2017 in Basel (u.a.tätig als Co-Leiterin des Netzwerks lokal lesen), hat in Berlin und Paris Literaturwissenschaft, Politikwissenschaft und Geschichte sowie in Seoul Koreanisch studiert, war als Journalistin für verschiedene Medien tätig, hat bereits ein Sachbuch und Erzählungen veröffentlicht, liest und spricht hier aber erstmals über ihren um ein Wissenschaftsthema kreisenden Debüt-Roman „Jenseits der Dinge“. Das Netz verrät nicht ihr Geburtsdatum, aber die Tatsache, dass sie alte Schreibmaschinen sammelt.
Nach der Pause (mit dem Getränkebon entscheide ich mich mal für eine Nicht-Alkoholikerin, nämlich una gazosa al succo di arancia amara aus Bellinzona) erscheint der 23-jährige, bescheiden und sicher auftretende Nelio Biedermann mit seinem eben erscheinenden Familienepos „Lázár“ (bereits sein zweiter Roman), der schon vorab in 20 Länder verkauft wurde (Auslandslizenzen). Inspiriert von der eigenen Familiengeschichte adliger ungarischer Vorfahren, wusste der in Zürich Germanistik und Filmwissenschaft studierende Biedermann schon früh, dass dies sein Stoff ist, mit dem er arbeiten will, es habe aber lange gedauert, bis er den stimmigen Ton dafür fand. Dann habe er den ersten Satz und den Erzählton gehabt, der die Zuhörerschaft auch gleich bei der Lesung des Buchanfanges umgibt und sofort in detailreiche Atmosphären eintauchen lässt. Für mich sieht Nelio Biedermann ein wenig so aus, als sei er dem Film Doktor Schiwago entstiegen.
Usama Al Shahmani, der 1971 in Bagdad geborene irakisch-schweizerische Literaturwissenschaftler, Schriftsteller und Übersetzer spricht als sechster über den von ihm zum 50.Geburtstag des Limmat-Verlages zusammengestellten Gedichtband „Ein Seidenfaden zu den Träumen“. Wie er bei der Auswahl vorgegangen sei, wird er gefragt, er antwortet: so wie beim Schreiben „während des Schreibens entwickelt sich das Schreiben“. Fasziniert sei er von sprachlicher Knappheit, vom Dazwischen, vom Versuch, das Verschwiegene zu formulieren, von der Haiku-Dichtung. Ein eigenes Gedicht in dem Band thematisiert den Morgen nach dem Krieg und Al Shahmani erzählt, dass im Arabischen nur ein Buchstabe die kurzen Worte Krieg und Liebe auseinanderhält.
Zu guter und man muss schon sagen peppiger Letzt ist die 1992 in Zürich geborene Nora Osagiobare mit ihrem Roman- Debüt „Daily Soap“ dran. Sie habe Lust an Verkehrungen, Gedanken- und Wortspielereien gehabt beim Schreiben, sagt sie und ich bin erstaunt, dass ich Autorin und Text nun mit anderem Blick betrachte als ich das bei (im TV verfolgter) Lesung und anschließender Lektüre ihrer Kurzgeschichte „Daughter Issues“ (49.Tage der deutschsprachigen Literatur, Klagenfurt) getan habe.
Und nun hat zwar das lange literarische Speed-Dating und die Hochsommerzeit ein Ende, die literarische Nachsommersaison aber gerade erst begonnen, wie ich mich dankenswerterweise auch auf der Damentoilette versichern kann.
