Sœur Sourire

Im Wohnzimmer des Elternhauses stand ein spezielles Möbelstück, ein länglicher Phonoschrank aus Holz mit metallenen Füßen, er enthielt ein Radio, einen Plattenspieler (man musste einen Deckel aufklappen) und eine nach links ausziehbare Schublade, in der Schallplatten gelagert werden konnten. Zog man als Kind die Schublade auf, wartete da nicht nur der Froschkönig „Heinrich, der Wagen bricht! – Nein, Herr, es ist der Wagen nicht. Es ist ein Band von meinem Herzen, das da lag in großen Schmerzen, als mein Herr noch in dem Brunnen saß“, sondern auch eine Single von Sœur Sourire, der singenden Nonne. „Dominique, Dominique, der zog fröhlich in die Welt, zu Fuß und ohne Geld. Und er sang an jedem Ort immer wieder Gottes Wort, immer wieder Gottes Wort“  –  immer und immer wieder habe ich das gehört, noch heute ist mir die frische, beschwingte Stimme mit dem französischen Akzent im Ohr und die Melodie, auch ein paar Textstellen, weiß ich noch zu singen, „oh Domenikus, bewahr uns Frohsinn und Bescheidenheit, dass wir unsren Brüdern künden von des wahren Lebens Freud“. Eine deutsche Version des Liedes hatten wir also zuhause, nicht das französische Original des Songs, der zu einem weltweiten Charthit avancierte, es wurden mehr als drei Millionen Exemplare der Single verkauft, 1964 zeichnete man Dominique, das dem Hl.Dominikus, dem Ordensgründer der DominikanerInnen gewidmet ist, mit dem Grammy Award für religiös inspirierte Musik aus.

Und was ist aus Sœur Sourire, der singenden Nonne und Liedschöpferin geworden? Das habe ich erst vor einiger Zeit erfahren, als ich einmal nach ihr googelte: die 1933 in der Nähe von Brüssel geborene Jeanne-Paule Marie Deckers, eine an der Mary Art School in Paris ausgebildete Zeichenlehrerin, war 1959 in den Orden der Dominikanerinnen eingetreten, wo sie den Namen Luc-Gabrielle (Vornamen der Eltern) annahm, Gitarrenspielen erlernte und begann, Lieder zu texten und zu komponieren, um zunächst nur ihre Mitschwestern im Konvent von Fichermont und die Jugendlichen, mit denen sie arbeitete, zu erfreuen. Mit Erlaubnis der Oberin wurde Dominique unter dem Pseudonym Sœur Sourire veröffentlicht und professionell vermarktet, die Einnahmen flossen an Orden und Kloster. Im Jahr 1966 wurde ein Hollywood-Film produziert, der durch das Leben der singenden Nonne inspiriert war, Debbie Reynolds spielte die Hauptrolle. Streitigkeiten wegen des Films, wegen der Musikkarriere und wegen der Einnahmen aus den Kompositionen führten zum Bruch und schließlich zum Austritt Deckers aus dem Orden. Unter dem neuen Namen „Luc Dominique“ versuchte Jeanne Deckers als Chansonette an ihren Erfolg anzuknüpfen, was aber misslang, Anfang der 1970er Jahre zog sie sich ins Privatleben zurück, in bestimmten Teilen der Presse wurden ihre Abhängigkeitserkrankung und ihre lesbische Beziehung thematisiert, ein jahrelanger Rechtstreit mit dem belgischen Finanzamt quälte sie, wegen ihrer Schulden wurde auch das von ihr gegründete Heim für autistische Kinder geschlossen. Am 30.März 1985 nahm sie sich zusammen mit ihrer Lebensgefährtin Annie Pécher das Leben, der Wunsch der beiden Frauen nach einem gemeinsamen Grab auf dem Friedhof von Wavre (bei Waterloo) wurde von der Kirche erfüllt. In weißen Großbuchstaben ist in den roten Granit des Grabsteins geprägt: J’ai vu voler son ame a travers les nuages.

(Es finden sich im Netz Videos von Sœur Sourire und Dominique)

(Foto: Zisterzienserinnen-Abtei Waldsassen)