Sommerzeit ist auch Reisezeit. Kam die ZEIT deswegen auf die Idee, nicht abgeholte Koffer zu ersteigern am Flughafen und sie Schriftstellern und Schriftstellerinnen (je zwei und zwei) zu überlassen, damit die sie mit Geschichten umspinnen? May be.
Die Koffer jedenfalls sind nicht nur herren -, sondern auch damenlos, sage ich mal (diverslos klingt irgendwie neu), und eher am Flughafen nicht gestrandet, sondern gelandet, bevor die ZEIT zuschlug für 185 bis 410 Euro. Die teuersten waren die blauen, hat das was zu sagen? Erinnert blau vielleicht am meisten an Himmel und Meer und Sommer und Ferien? Possible. Ein bisschen langweilig ist, dass weibliche Koffer weiblichen SchriftstellerInnen zugeteilt wurden und männliche Koffer männlichen – also ich hätte das andersherum gemacht, wenn man mich gelassen hätte, hat man aber nicht. Peccato. Man kann schließlich davon ausgehen, dass denen genug eingefallen wäre, die Geschichten auch vice versa zu spinnen oder dachte die ZEIT vielleicht fürsorglich, dass die Beglückten sich gleich mit dem Inhalt einkleiden? War das etwa Teil des Deals? Aber das wäre doch auch kein Hindernis gewesen, Paul Maar trüge sicher gerne Bikini, zumal sein Koffer außer Herren-Kurzarmhemden, Badehose und Elektrorasierer auch einen rosa Damenmorgenmantel, einen schwarzen Damenbody und zwei weiße Miniröcke bereithielt, fragt sich nur, zu was die Käsereibe in diesem Zusammenhang, äh, in dieser Zusammenstellung gut sein sollte. Aber darüber machen wir uns jetzt mal keine Gedanken. Lieber darum, warum die Schriftsteller – und – * – und – Innen doch gehörigen Respekt vor diesen Koffergetümen hatten, wenn nicht sogar klitzekleine Panikanfälle, nein, nein, ich verrate jetzt nicht, wer am dollsten. Hat sie aber am Geschichtenspinnen nicht gehindert, gracias a dios. Sie haben da wirklich was rausgezogen aus den 6,2 bis 11,7 kg, nicht nur goldene Sneaker mit weißen Schnürsenkeln, rosa Sandalen mit Eiffelturm-Muster (zur Daunenjacke!) oder graue Herren-Wildlederschuhe, sondern auch Katzen und Dinge, Interpretationen und Wahrheiten, Treppenhäuser und ein Es war einmal…
Wie ist es eigentlich unserem allein reisenden Koffer ergangen? Ich meine den vom 3.Januar 2025, also den meeresblauen mit den abgewetzten grauen Paspeln? Er hat sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Sämtliche Sprints von diversen Personen zu diversen Bahnhöfen (und das bei heftig einsetzendem abendlichen Schneefall) hinderten ihn nicht daran, auf seinem Sitzplatz zu bleiben und durchs Rheintal zu kutschieren. Er stellte so seine Beobachtungen an, nach außen und nach innen, die Zeit gönnte er sich. Bis er schließlich ganz allein übrig blieb und sein Reisegefährte, äh Reisegefährt in nächtlichen Stillstand fiel. Irgendwelche Über- und Ermittlungen im Hintergrund aber nicht ruhten. Jedenfalls durfte (oder musste?) er dann den Platz wechseln, ein bisschen noch vor sich hin dämmern im Dunkeln, leider ohne Rheintal (aber vielleicht gab´s ja gute und kluge Mit-Dämmerer?). Schlussendlich konnte der Herr (in diesem Fall stimmt das) des Koffers den graugepaspelten Meerblauen wieder in die Arme bzw. am nicht mehr versenkten Griff und mit zu sich nach Hause nehmen. Doch ein wenig bitten lassen hat der Koffer sich schon, denn sein Herr musste ihn abholen an der Ruhestation. Dafür hat der Blaue aber alles behalten, was sein Innenleben betraf, gar nichts aussortiert, weder die Schuhe noch den Gürtel, weder die Standhaftigkeit noch die Flexibilität, weder das Hemd noch den Bedacht, auch nicht die Perspektive. Und die Tasche? Was für eine Tasche denn???
(siehe auch Blogeintrag vom 3.Januar 2025 Ein blauer Koffer)
(ZEIT N° 32 vom 31.Juli 2025 Rubrik Entdecken: „Die Gepäckausgabe. Herrenlose Koffer, gestrandet am Flughafen – was steckt da wohl drin?“; Geschichten von Martina Hefter, Paul Maar, Helene Hegemann und Max Annas)

(Foto: Wien 29.Juli 2019)